Allgemeine Angelegenheiten
Informelles Ministertreffen

„Die Debatte ist eröffnet“, so Jean Asselborn nach dem ersten Meinungsaustausch der Minister und Staatssekretäre für Europäische Angelegenheiten über die Vertiefung der WWU

Die Minister und Staatssekretäre für europäische Angelegenheiten der EU kamen am 23. und 24. Juli 2015 in Luxemburg zu einer informellen Sitzung unter dem Vorsitz von Jean Asselborn, Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten, zusammen. Auch Frans Timmermans, Erster Vizepräsident der Europäischen Kommission, nahm teil.

Vorstellung der Prioritäten des luxemburgischen Ratsvorsitzes

Jean Asselborn et Bruno MaçaesDie Minister und Staatssekretäre führten einen Meinungsaustausch zu den Prioritäten des luxemburgischen Ratsvorsitzes. Zu diesem ersten Arbeitstreffen hatte der Ratsvorsitz auch die Minister für europäische Angelegenheiten der Länder eingeladen, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben(Albanien, Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Montenegro, Serbien, Türkei).

Die Delegationen sicherten ihre breite Unterstützung für das Programm des Ratsvorsitzes zu, der sich verpflichtete, sein Bestes zu tun, um ihre Kommentare zu berücksichtigen.

Jean Asselborn dankte den Kandidatenländern dafür, ihre Erwartungen und Absichten in Sachen einer Annäherung an die EU in den kommenden Monaten mitgeteilt zu haben. Er rief sie dazu auf, zuversichtlich zu sein, dass es möglich sein wird, in den kommenden Monaten Fortschritte auf dem Weg der europäischen Integration zu machen. Der Austausch mit den Kandidatenländern habe es ihm zufolge „erlaubt, eine klare Vorstellung von den vor uns liegenden Herausforderungen, aber auch von der Entschlossenheit aller Parteien, vor Jahresende konkrete Fortschritte im Bereich der Erweiterung zu machen, zu gewinnen.“ Der Ratsvorsitz erklärte, dass er das von der Kommission umstrukturierte „Erweiterungspaket“ für 2015 mit Interesse erwarte und äußerte die Hoffnung, dass greifbare Fortschritte insbesondere dann festgestellt werden können, wenn der Rat im Dezember 2015 seine jährlichen Schlussfolgerungen zur Erweiterung verabschiedet.

Arbeitsprogramm der Kommission

In der zweiten Sitzung wurde das Arbeitsprogramm der Kommission für 2016 behandelt. Die Diskussion erfolgte vor konkretem Hintergrund. In ihrem Entwurf für die Interinstitutionelle Vereinbarung hatte die Kommission am 19. Mai 2015 im Rahmen ihrer Agenda „Bessere Rechtsetzung“ vorgeschlagen, dass die drei europäischen Institutionen, d. h. Kommission, Europäisches Parlament und Rat, ihre Zusammenarbeit beim Jahres- und Mehrjahresprogramm verstärken. Da die Verhandlungen zu dieser Einigung jedoch nicht vor Dezember 2015 abgeschlossen werden, sei ein „ad hoc“-Verfahren bei der Arbeit am Programm für 2016 unerlässlich geworden. Dieser Austausch bot den Mitgliedstaaten Gelegenheit, ihre Beurteilung der Umsetzung des Programms für 2015 darzulegen und ihre Erwartungen an das Arbeitsprogramm 2016 zu äußern.foto-famille

Beschäftigung und Wachstum, der Juncker-Plan, die Stärkung des Binnenmarkts und Migration waren die am häufigsten genannten Punkte. Die Kommission zeigte sich erfreut, dass sich der Rat wieder an der Diskussion über das Jahresprogramm beteilige. Ein Entwurf für 2016 werde in der Absichtserklärung der Kommission formuliert, die am 9. September 2015 im Anschluss an die Rede zur Lage der EU von Präsident Jean-Claude Juncker veröffentlicht werde. Das jährliche Arbeitsprogramm der Kommission für 2016 dürfte am 27. Oktober 2015 präsentiert werden.

Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion

Bei ihrem Arbeitsessen diskutierten die Minister den am 22. Juni veröffentlichten Bericht der fünf Präsidenten zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). In diesem Bericht werden konkrete Vorschläge zur Vertiefung der WWU ab dem 1. Juli 2015 aufgelistet und es werden zwei Phasen unterschieden. Zunächst werden sich Sofortmaßnahmen über zwei Jahre auf bestehende Instrumente und auf die aktuell geltenden Verträge stützen. In einer zweiten Phase sind umfassendere Maßnahmen vorgesehen, die auf die Vollendung der Architektur der WWU abzielen.

Der Kern der Debatte bestand für Jean Asselborn darin, „einige wesentliche Punkte zu klären und Licht in verschiedene Aspekte des Fahrplans für die Vollendung der WWU zu bringen“.

„Der Bericht kommt in der Tat zu einem wichtigen Zeitpunkt, an dem ein objektiver Bedarf besteht, die Governance der WWU zu verbessern“, erklärte Jean Asselborn in seiner Einleitung zu dieser dritten Sitzung. „Neben den strukturellen operativen Mängeln der WWU hat die Griechenland-Krise erneut den realen Bedarf an einer Vertiefung der Zusammenarbeit gezeigt, auch wenn die EU durch die Instrumente, die seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise entwickelt wurden, in der Lage war, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber makroökonomischen Schlägen zu erhöhen“, unterstrich er.

Der Ratsvorsitz wollte das Thema von den Ministern und Staatssekretären für europäische Angelegenheiten der EU debattieren lassen, weil einerseits die Vertiefung der WWU allen Mitgliedstaaten offenstehe, und weil andererseits einige ihrer Aspekte, wie der Binnenmarkt, im Rahmen der EU entscheidend blieben. Und wenngleich der Ecofin-Rat bei der Weiterverfolgung dieses Themas die Führung übernehme, so sei es dem Ratsvorsitz wichtig, dass der Rat für Allgemeine Angelegenheiten (RAA) und der Rat für „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ (EPSCO) ebenfalls in die Diskussionen mit eingebunden seien.

Man dürfe dem Ecofin-Rat bei diesem Thema nicht das Monopol überlassen, stellte Nicolas Schmit, Minister für Arbeit, Beschäftigung sowie Sozial- und Solidarwirtschaft, fest und hob hervor, dass der RAA in die politische Dimension des Projekts mit einbezogen werden müsse, während der EPSCO die Aufgabe habe, sich für die soziale Dimension zu interessieren.

Im Ecofin-Rat und in der Eurogruppe haben die Arbeiten bereits begonnen. Sie konzentrieren sich auf kurzfristige Maßnahmen. Die mittel- und langfristigen Perspektiven werden bei einer informellen Sitzung im September behandelt. Jean Asselborn fasste zusammen, dass der Rat kurzfristig zwei Prioritäten ermittelt habe: erstens die Durchführung von bereits getroffenen Entscheidungen, wie die Umsetzung der BRRD-Richtlinie oder die Frage der Überbrückungsfinanzierung für die interne Sanierung des Abwicklungsfonds; zweitens die Ermittlung mehrerer kurzfristiger Maßnahmen, die ohne Vertragsänderungen durchgeführt werden können, wie die Sicherheitsnetze des Abwicklungsfonds, eine Verbesserung des Einlagensicherungssystems oder eine Überarbeitung des Europäischen Semesters, einschließlich der wirtschaftlichen europäischen Governance.

Nicolas SchmitNicolas Schmit berichtete kurz von der informellen EPSCO-Sitzung am 16. Juli 2015. In seinen Augen liege die Herausforderung darin, die Schwächen der WWU zu beheben, die sich in der Krise gezeigt haben. Er hob hervor, dass bereits viel getan worden sei. Aber er stellte fest, dass die WWU zwar im Hinblick auf eine Konvergenz gegründet worden sei, dass sich jedoch Divergenzen zwischen den Ländern der Eurozone auftäten und dass dies eine Gefahr für die Kohäsion und die Tragfähigkeit der Union darstelle. Wenn andererseits der Bericht der fünf Präsidenten die Formel des „Triple-A-Sozialstatus“ aufnehme, dann vor allem, weil dies einer wirtschaftlichen Notwendigkeit entspräche. Der Abschnitt zur Beschäftigung und zur Sozialpolitik hätte ehrgeiziger ausfallen können, kommentierte Nicolas Schmit, ohne aus dem Blick zu verlieren, dass diese beiden Bereiche in die nationale Zuständigkeit fallen.

Aber die Stärkung der WWU und der Disziplin habe auch Auswirkungen auf die Beschäftigungspolitik, und es sei wichtig, das Gleichgewicht der Governance wieder herzustellen und dabei darauf zu achten, dass der soziale Pfeiler besser etabliert werde. Dies müsse über die Reform des Arbeitsmarkts hinaus gehen, erklärte Nicolas Schmit. Seiner Auffassung nach bestehe der wesentliche Punkt der Diskussionen darin, herauszufinden, wie man die Definition der Union aus den Verträgen, d. h. eine Union, die auf dem Prinzip einer sozialen Marktwirtschaft beruhe, am explizitesten in die Governance der WWU und in das Europäische Semester integrieren könne. Nicolas Schmit sprach auch die Vorbehalte an, die von einigen seiner Amtskollegen gegenüber der Idee geäußert wurden, Wettbewerbsbehörden in der Eurozone einzurichten. Als Vorsitzender des EPSCO-Rates wolle er den Austausch über den sozialen Pfeiler des Berichts auf einem informellen Treffen der Minister für Arbeit und soziale Angelegenheiten der Eurozone im Oktober fortsetzen.

„Der Euro hat nicht zu der versprochenen Konvergenz geführt“ − Das war eine der gemeinsamen Feststellungen, die sich aus der im Anschluss geführten offenen Debatte ergab. Denn auch wenn die Konvergenz nach der großen Erweiterung 2004 zweifellos gestärkt wurde, so sind andere Divergenzen in der Eurozone entstanden. So wurde die Sorge um eine Stärkung der Konvergenz auf wirtschaftlicher, steuerlicher und sozialer Ebene im Laufe der Diskussionen mehrmals angesprochen. Der Gedanke, die Haushaltskapazität der Eurozone zu stärken, wurde wiederholt unter den Instrumenten zur Stärkung der Konvergenz genannt, auch wenn dieser Gedanke von einigen als zaghaft beurteilt wurde (und zwar von denselben, die die Aufgabe aller ehrgeizigen Pläne für eine Vergemeinschaftung der Schulden bedauerten). „Ein Solidaritätsmechanismus ist erforderlich“, machte derselbe Redner geltend.

Mehrere Redner beharrten auf der Notwendigkeit, mit der Umsetzung der bereits gefassten Beschlüsse zu beginnen. Es wurde auch darüber debattiert, wie und in welchem Rhythmus man fortfahren solle. Viele Stimmen riefen dazu auf, schnell voranzuschreiten. Andere unterstrichen dagegen, dass es Zeit erfordere, über den zu beschreitenden Weg zu diskutieren und nachzudenken.

„Auch der aktuelle politische Kontext wurde vielfach angesprochen - sowohl um hervorzuheben, wie sehr der Moment für weitere Schritte gekommen sei, als auch um auf „das Problem des gegenseitigen Vertrauens“ hinzuweisen, das sich in der Eurozone angesichts der schwierigen Bedingungen stelle, unter denen in der Nacht vom 12. zum 13. Juli 2015 eine Einigung zu Griechenland gefunden werden konnte.

„Darauf achten, dass die Integration der Eurozone nicht zu Verzerrungen auf dem Binnenmarkt führt“ war eine der größten Sorgen, die im Laufe einer Debatte geäußert wurden, bei der die Vertreter derjenigen Länder, die nicht Mitglied der Eurozone sind, einstimmig für mehr Transparenz in den Diskussionen plädierten.

Ein weiterer roter Faden, der sich durch die Diskussion zog, war die demokratische Legitimität der in der Eurozone getroffenen Entscheidungen. Die Frage nach der demokratischen Kontrolle durch die Parlamente - sowohl durch das Europäische Parlament als auch durch die nationalen Parlamente - war für viele Delegationen entscheidend und wurde häufig angesprochen.

„Die Debatte ist eröffnet“, sagte Jean Asselborn abschließend.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 24-07-2015