Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
Minister im Europäischen Parlament

Nicolas Schmit sprach vor dem Europäischen Parlament über die Langzeitarbeitslosigkeit und bezeichnete sie als „eine Wunde in der EU“

pe-pleniereAm 28. Oktober 2015 hielt Nicolas Schmit, Minister für Arbeit, Beschäftigung und Sozial- und Solidarwirtschaft sowie Vorsitzender des Rates „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ (EPSCO), im Namen des Rates der Europäischen Union eine Rede vor dem Europäischen Parlament, das sich zur Plenarsitzung in Straßburg versammelt hatte. Der luxemburgische Minister war gebeten, auf eine mündliche Anfrage bezüglich der Empfehlung des Rates zur Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt durch den europäischen Abgeordneten Thomas Händel (GUE/NGL) zu antworten. Nicolas Schmit hatte bereits Gelegenheit, am 9. September eine mündliche Anfrage desselben Abgeordneten in Bezug auf die prekäre Beschäftigung zu beantworten.

Als Einführung wies der Minister darauf hin, dass die mündliche Anfrage des Abgeordneten Händel eine „Veranschaulichung“ der Debatte über das Europäische Semester sei, die kurz vorher stattgefunden hatte. Er betonte, dass es sich um eine „sehr spezifische Frage handele, die Millionen von Europäern betreffe, die sich Konkretes vom Europäischen Semester erhoffen“. Für den Minister ist das Europäische Semester „keine Stilübung“ und, „damit es eine reale politische Bedeutung habe, müsse es denjenigen zugute kommen, die lange arbeitslos waren.“

Der Minister erinnerte daran, dass sich seit der Krise die Langzeitarbeitslosigkeit verdoppelt habe und dass 12 Millionen Menschen in der EU betroffen seien, wobei die Situation je nach Mitgliedstaat variiere. „Diese 12 Millionen Menschen sind eine Statistik, hinter der sich Menschen, Familien, zerstörte Leben und Verzweiflung verbergen“, sagte der Minister.

„Wie kann es annehmbar sein, dass jemand nach einem Jahr oder zwei Jahren Suche keinen Job findet“, fragte Nicolas Schmit und erklärte, dass die Langzeitarbeitslosigkeit „sich zu einem Teufelskreis entwickelt habe, der Arbeitslosigkeit zur Arbeitslosigkeit hinzufüge.“ Und je länger man arbeitslos sei, desto geringer seien die Aussichten auf einen Arbeitsplatz, betonte der Minister.

„Die wahren Opfer der Krise sind genau diese Arbeitslosen, diejenigen, die über keine Perspektiven verfügen“, sagte er noch und fügte hinzu, dass die Betroffenen oft Frauen, ältere Menschen oder junge Menschen, bei denen die europäische Jugendgarantie nicht ausreiche, seien. Und das Risiko bestehe darin, dass sie nach und nach ihre Fähigkeiten verlieren und damit ihre Beschäftigungsfähigkeit, betonte Nicolas Schmit. „Sollte sich die Wirtschaft erholen, werden sie die Letzten sein, die angestellt werden, und das Risiko ist groß, dass sie überhaupt keinen Arbeitsplatz mehr finden“, befürchtet der Minister, der auch davor warnte, dass sie definitiv aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, sich nicht mehr registrieren lassen und die Zahl derer vergrößern würden, die ohne Beschäftigung sind.

Für Nicolas Schmit müssten die Langzeitarbeitslosen als „bevorzugte Kategorie“ behandelt werden. In diesem Zusammenhang rief der Minister dazu auf, die Reformen der Sozialpolitik und der Beschäftigung umzusetzen, riet aber auch zu weiterreichenden strategischen Maßnahmen im Wirtschafts- und Haushaltsbereich. In seinen Augen sind eine echte wirtschaftliche Erholung sowie nachfrageorientierte Maßnahmen notwendig, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern.

Für den Minister ist „das beste Rezept gegen die Arbeitslosigkeit und insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit die Schaffung von Arbeitsplätzen und neue Arbeitsplätze entstehen durch Wachstum, Unternehmensgründungen und Innovationen“.

Er fügte hinzu, dass Wachstum allein dieses Problem nicht lösen könne, es bedürfe auch „größerer Investitionen ins Humankapital“. „Dies ist die entscheidende Maßnahme, damit diese Menschen von neuem die notwendigen Fähigkeiten erwerben, um wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden,“ erklärte der Minister, der auch die Bedeutung des „präventiven Ansatzes“ unterstrich.

Nicolas Schmit erinnerte in diesem Zusammenhang an das Ziel des luxemburgischen Ratsvorsitzes, beim EPSCO-Rat im Dezember 2015 über die Empfehlung zur Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt eine politische Einigung zu erreichen, während eine Orientierungsaussprache über diesen Vorschlag bereits bei der Sitzung des EPSCO-Rates im Oktober stattgefunden hat.

Abschließend forderte Nicolas Schmit die Stärkung und Modernisierung der öffentlichen Arbeitsverwaltungen, die bei Langzeitarbeitslosen oft „das Handtuch werfen“.  „Es ist wichtig, einen ähnlichen Ansatz zu entwickeln, wie er bei der Jugendgarantie umgesetzt wurde“, sagte er.

Er plädierte auch für den Bau von „echten Brücken“ und die Schaffung von spezifischen Arbeitsplätzen, welche die Wiederbeschäftigung von Langzeitarbeitslosen erleichtern würde. „Wir müssen in Jobs investieren und nicht in Arbeitslosigkeit, denn Arbeitslosigkeit ist gleichbedeutend mit Ausgrenzung, Elend und Armut“, sagte der Minister abschließend und betonte die Rolle der Sozial- und Solidarwirtschaft bei der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen.

Die Debatte

Gemäß der EVP sind die Ursachen für die Langzeitarbeitslosigkeit Armut, Mangel an Bildung, Ausgrenzung, ein schlechter Zugang zu Informationen, besonders jene der Arbeitsverwaltungen. Aber trotz allem, was wir wissen, hat sich die Langzeitarbeitslosigkeit seit 2007 „unaufhörlich ausgebreitet, als ob man nichts dagegen tun könnte“. Sie konnte nicht wirksam verringert werden und das Vertrauen schwinde, betonten die Abgeordneten.  Die EVP fordert, die Koordinierung und die Effizienz zu verbessern, denn nach so vielen Studien und Analysen müsse man endlich handeln.

Die S&D malte ein düsteres Bild der Situation: doppelt so viele Langzeitarbeitslose wie vor der Krise; ein Verlust an Humankapital; soziale Folgen wie Ausgrenzung, Armut, Gesundheitsprobleme, welche das öffentliche Gesundheitswesen belasten, sowie psychosoziale Schwierigkeiten und Schwierigkeiten, um den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu finden.  Genau wie bei der Jugendgarantie seien zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit mehr Ressourcen erforderlich, sagten die Abgeordneten.

Für die Konservativen der EKR müssten die NGOs motiviert und die Humanressourcen verbessert werden, um den Langzeitarbeitslosen zu helfen.

Die Liberalen der ALDE ihrerseits merkten an, dass die Langzeitarbeitslosigkeit eine Herausforderung für alle Mitgliedstaaten sei.  Ihrer Meinung nach sollten die Rahmenbedingungen für die KMUs, welche Arbeitsplätze schaffen, verbessert werden.

Die Vereinigte Linke begrüßte den Ansatz von Nicolas Schmit, obwohl sie bedauerte, dass die strukturelle Dimension der Langzeitarbeitslosigkeit und die Verantwortung der neoliberalen Politik nicht erwähnt wurden. Alle europäischen Fonds müssten im Rahmen des Möglichen dazu verwendet werden, sagte ihr Sprecher.

Für die Grünen ist das Konzept des sozialen Europas eine leere Worthülse. Ihre Europaabgeordneten fragen sich, warum überhaupt eine Debatte über eine Empfehlung des Rates stattfindet, welche die Staaten in keiner Weise verpflichtet.

Nicolas Schmit schloss, indem er von einer „anregenden Debatte“ sprach und erklärte, dass die Frage der Langzeitarbeitslosigkeit selbstverständlich auch in den Verfahren und den Empfehlungen des Europäischen Semesters integriert sei. Er vertritt die Ansicht, die Staaten mit hohen Langzeitarbeitslosenzahlen müssten Aktionspläne entwickeln. Seiner Meinung nach gäbe es bei den Arbeitslosen auch solche, die nicht arbeiten wollten, solche, die nicht arbeiten könnten, aber auch Situationen, in denen die Arbeit nicht rentabel sei, sodass die Löhne angepasst werden müssten.

Es sei jedoch nicht der Rat zuständig, sondern die nationalen Regierungen, unterstrich der Minister. Die nationale Politik mit europäischen Maßnahmen zu verknüpfen, könne allerdings sinnvoll sein. In diesem Zusammenhang müsse zuerst über die Ressourcen nachgedacht werden, meinte Nicolas Schmit und fügte hinzu, dass einige Mitgliedstaaten dabei Hilfe benötigten.

Genau wie die europäische Jugendgarantie Maßnahmen in Ländern gebündelt habe, in denen die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist, so müssten auch Ressourcen für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit gebündelt werden, fügte Nicolas Schmit hinzu. Der Europäische Sozialfonds (ESF) müsse diese Dimension integrieren.  Aber um die Langzeitarbeitslosen zu beschäftigen, müssten zunächst Arbeitsplätze geschaffen werden. Nicolas Schmit sieht hier nicht nur die soziale Verantwortung der Arbeitgeber in der Pflicht, sondern auch die Behörden müssten die Arbeitgeber dabei unterstützen, Langzeitarbeitslose einzustellen.

Abschließend sprach Nicolas Schmit über das, was er als eigentliche Herausforderung betrachtet: das europäische Sozialmodell und den sozialen Zusammenhalt, für die 12 Millionen Langzeitarbeitslose „eine Wunde in der EU“ darstellten.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 28-10-2015