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Konferenz „Individualbesteuerung und Beschäftigung“ – Nicolas Schmit und Lydia Mutsch verteidigen die steuerliche Individualisierung und die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt

Am 29. Oktober 2015 nahmen der Minister für Arbeit, Beschäftigung sowie Sozial- und Solidarwirtschaft, Nicolas Schmit, und die Ministerin für Chancengleichheit, Lydia Mutsch, an einer Konferenz zum Thema Individualbesteuerung und Beschäftigung teil, die im Rahmen des luxemburgischen EU-Ratsvorsitzes im Großherzogtum veranstaltet wurde.

Mehrere europäische Experten auf dem Gebiet der Steuer- und Sozialpolitik erörterten die derzeitige Lage in Bezug auf Einzelbesteuerung und Individualisierungsgrad in den Mitgliedstaaten. Sie untersuchten die Zusammenhänge zwischen dem Individualisierungsgrad und seinen Auswirkungen auf die Beschäftigung von Frauen in quantitativer und qualitativer Hinsicht und beschäftigten sich mit den typischen Merkmalen der Übergangsphasen, um so die Faktoren zu bestimmen, die gleichstellungsförderliche steuerliche Rahmenbedingungen schaffen.

In seiner Eröffnungsrede betonte Nicolas Schmit, wie wichtig ein Steuersystem sei, das die sich wandelnde Rolle der Frauen in der Gesellschaft in vollem Umfang berücksichtigt. Lydia Mutsch rief dazu auf, die Arbeit so zu vergüten, dass sowohl Männer als auch Frauen zu einer Teilhabe am Arbeitsmarkt angeregt werden, und den steuerrechtlichen Rahmen in Frage zu stellen, der auf der Heirat und dem Grundsatz eines Einzelverdieners pro Haushalt beruht.

Sich vergewissern, dass das Steuersystem die sich wandelnde Rolle der Frauen in der Gesellschaft in vollem Umfang berücksichtigt

IMG_0109In seiner Eröffnungsrede erklärte Nicolas Schmit, der Minister für Arbeit, Beschäftigung sowie Sozial- und Solidarwirtschaft, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Gesellschaft eine der Prioritäten des luxemburgischen Ratsvorsitzes sei.

Der Minister betonte, wie wichtig es sei, sich zu vergewissern, dass das System der Kollektivbesteuerung, so wie es in Luxemburg und in anderen Ländern existiere, die sich wandelnde Rolle der Frauen in der Gesellschaft, insbesondere was die Arbeitswelt betreffe, in vollem Umfang berücksichtigt. Er präzisierte weiterhin, in der EU hätten „von 28 Ländern nur vier ein System der kollektiven Besteuerung, wobei drei das sogenannte ‚Splitting‘-Verfahren anwenden und Frankreich den Familienquotienten“.

Die Philosophie hinter der steuerlichen Individualisierung unterscheide sich ihm zufolge von der Philosophie des Systems der kollektiven Besteuerung, das für „eine bestimmte Art von Verbrauchereinheit, und zwar den Haushalt“ gelte und für das Konzept eines Haushaltes relevant sei, in dem es einen einzigen Verdiener, Erwerbstätigen und Gehaltsempfänger oder einen Hauptverdiener gibt.“

Nicolas Schmit zufolge sei es schwierig, „einen absoluten Zusammenhang“ zwischen der Art der Besteuerung und der Beschäftigungsquote herzustellen. „In den Ländern, die eine Individualbesteuerung vornehmen, insbesondere in den nordischen Staaten, ist die Frauenbeschäftigungsquote am höchsten. In Deutschland jedoch, wo das Steuersystem, ein sogenanntes Kollektivsteuersystem mit Splitting-Verfahren, keiner grundlegenden Änderung unterzogen wurde, ist die Frauenbeschäftigungsquote in den letzten Jahre stark gestiegen“, erklärte der Minister, wohingegen in einigen Südstaaten, in der eine steuerliche Individualisierung praktiziert werde, wie etwa in Italien, Griechenland und Malta, die Frauenbeschäftigungsquote „sehr schwach“ geblieben sei.

Die Wirkung ist jedoch offensichtlich“, betonte der Minister, bevor er auf weitere Faktoren hinwies, die Einfluss auf die Frauenbeschäftigungsquote nehmen, wie etwa insbesondere die Kinderbetreuungssysteme, ein Aspekt, der ihm zufolge „mindestens genauso wichtig wie der Steueraspekt“ sei. Er wies außerdem auf die Notwendigkeit „angemessener Kosten“ für die Kinderbetreuung hin und betonte, wie wichtig es sei, dass die Ausgaben für die Kinderbetreuung von den Steuern abgezogen werden können.

Der Minister lenkte die Aufmerksamkeit schließlich auf die Tatsache, dass die Besteuerung bei der Wahl zwischen einer Vollzeit- und einer Teilzeitbeschäftigung „eine Rolle spielt“. Tendenziell würden Frauen mehr Teilzeitbeschäftigungen nachgehen, so dass ihre Aufstiegsmöglichkeiten eingeschränkt seien, so der Minister. Darüber hinaus „sieht jemand, der Teilzeit arbeitet, einer Teilpensionierung entgegen“, erklärte er, was ihm zufolge heutzutage „umso problematischer ist“, da die Scheidungsraten stark gestiegen sind. Die „spürbare“ Diskrepanz zwischen den Ruhestandseintritten von Männern und Frauen ist seiner Ansicht nach auch mit Gehaltsunterschieden verbunden und mit der Tatsache, dass Frauen häufig „eine unvollständigere Karriere“ haben.

„Es ist daher wichtig, dass wir auf dieser Konferenz all diese Aspekte besser erfassen und den Weg für die Anpassung unseres Steuersystems so ebnen, dass mehr Gleichberechtigung, eine bessere Berücksichtigung der Arbeit von Männern und Frauen und eine größere Steuergerechtigkeit gewährleistet werden können“, schloss der Minister.

Die verstärkte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt hängt immer noch allzu häufig von ihren Möglichkeiten ab, Beruf und Familienleben zu vereinbaren

conf-mutschDie Ministerin für Chancengleichheit, Lydia Mutsch, eröffnete die Nachmittagssitzung zum Thema Individualbesteuerung in den europäischen Ländern (Österreich und Schweden).

In ihrem Vortrag betonte die Ministerin, dass die verstärkte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und die große Präsenz von Frauen bei Entscheidungsprozessen noch „allzu häufig von ihren Möglichkeiten ab, Beruf und Familienleben zu vereinbaren“.

Die Ministerin freute sich über die Diskussionen auf der gemeinsamen Tagung der für Beschäftigung und Chancengleichheit zuständigen Minister der EU am 17. Juli 2015 in Luxemburg, wo die Teilnehmer einen Meinungsaustausch über mögliche Lösungsansätze für eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse von Männern und Frauen im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben geführt hätten. „Dies ist ein erster Schritt in Richtung einer Berücksichtigung der Interessen beider Eltern, von Frauen und Männern, bei der Einführung neuer Arbeitsorganisationsformen oder Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und pflegebedürftige Personen“, erklärte sie.

Lydia Mutsch bedauerte, dass die Geburt von Kindern „häufig als einziges Hindernis für eine verstärkte Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und bei Entscheidungsprozessen angesehen“ werde. Ihr zufolge gebe es auch andere Elemente, die den Karriereverlauf von Frauen beeinflussen: die Berufswahl, Gehaltsunterschiede, Sozial- und Familienpolitik, unsicherere Beschäftigungsformen und die Steuerpolitik, um nur einige zu nennen.

Die Ministerin betonte, dass eine moderne Gesellschaft „sich auf eine gerechte Verteilung von Aufgaben zwischen Männern und Frauen in allen Lebensbereichen stützen“ müsse, und erinnerte an die Initiativen Luxemburgs in diesem Bereich: Die luxemburgische Regierung habe nämlich die Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern zu einem Leitprinzip ihres Regierungsprogramms 2013 erklärt. Dieses Programm sehe insbesondere vor, dass „die Regierung die Möglichkeit eines Übergangs zu einer Individualbesteuerung für natürliche Personen prüft“, merkte sie an.

Was die europäische Ebene anbelangt, nannte Lydia Mutsch die Strategie Europa 2020, deren Ziel darin bestehe, intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu fördern, indem der Schwerpunkt auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung von Armut gelegt wird. Allerdings „können diese Zielsetzungen nicht ohne eine Aktivierung des Potenzials weiblicher Arbeitskräfte erreicht werden“, erklärte die Ministerin, die näher erläuterte, dass die angestrebte Beschäftigungsquote von 75 % für die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen nicht ohne eine verstärkte weibliche Erwerbsbeteiligung erreicht werden könne. Darüber hinaus können ihr zufolge „die im Steuerbereich getroffenen Entscheidungen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit begünstigen oder verhindern“.

Es sei somit von „wesentlicher Priorität“, die Arbeit so zu vergüten, dass sowohl Männer als auch Frauen zu einer Teilhabe am Arbeitsmarkt angeregt werden, so Lydia Mutsch. Ferner sei es angesichts neuer Lebensweisen und angesichts unterschiedlicher Haushaltszusammensetzungen an der Zeit, „einen steuerrechtlichen Rahmen, der einerseits auf der Heirat als sehr stabilen Institution und andererseits auf dem Grundsatz eines Einzelverdieners pro Haushalt beruht, in Frage zu stellen“. Dieses System, das die Ministerin für kontraproduktiv erachtete, insofern es – zumindest indirekt – verheiratete Frauen diskriminiert, laufe „Gefahr, verheiratete Frauen zu bestrafen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, vor allem dann, wenn ihr Einkommen geringer als das ihres Ehemanns ist“.

Lydia Mutsch zufolge werde die Konferenz „nicht nur in die Debatten rund um die Steuerreform in Luxemburg einfließen, sondern auch die nationalen und internationalen Diskussionen über die Geschlechtergleichstellung und den rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmen bereichern, die eingeführt werden müssen, um eine bessere Aufteilung der Zuständigkeiten zu erreichen“.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 29-10-2015