Wirtschaft und Finanzen
Ratssitzung

ECOFIN-Rat − Minister einigen sich über den automatischen Austausch von tax rulings

Pierre Moscovici et Pierre GramegnaDie Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Union (EU) kamen am 6. Oktober 2015 unter dem Vorsitz des Ministers für Finanzen, Pierre Gramegna, zur Sitzung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ in Luxemburg zusammen. Insbesondere erzielten die Minister eine politische Einigung zum Richtlinienentwurf für den automatischen Informationsaustausch (AIA) über Steuervorbescheide; sie erörterten die finanziellen Auswirkungen der Flüchtlingskrise und fuhren mit einem Gedankenaustausch über einen Aktionsplan zur Bildung einer Kapitalmarktunion fort.

Einigung über den automatischen Austausch von tax rulings

Auf der Grundlage eines vom luxemburgischen Ratsvorsitz vorgelegten Kompromisstextes erzielte der Rat eine politische Einigung über einen Richtlinienentwurf, der die Transparenz bei Steuervorbescheiden im grenzüberschreitenden Verkehr (auch: Auskunftsbescheide oder „Tax Rulings“ auf Englisch) dadurch erhöhen soll, dass ihr automatischer Austausch zwischen den Steuerverwaltungen verbindlich wird.

Der Richtlinienentwurf ist Teil eines im März 2015 vorgelegten Maßnahmenpakets, das der Vermeidung von Steuerflucht und aggressiver Steuerpolitik von Unternehmen dienen soll. Mit ihm soll die Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung, in der der Informationsaustausch in der Praxis geregelt ist, dahingehend geändert werden, dass auch Steuervorbescheide aufgenommen werden. Die Richtlinie fordert konkret, dass die Mitgliedstaaten für die Steuervorbescheide im grenzüberschreitenden Verkehr sowie für Vorabzustimmungen zu Übertragungspreisen zum AIA übergehen. Die Kommission wird eine zentrale, gesicherte Registratur zur Verfügung stellen, auf die alle Mitgliedstaaten und die Kommission zugreifen können und in der die ausgetauschten Informationen gespeichert werden.

Während der Pressekonferenz im Anschluss an das Treffen begrüßte der Finanzminister, Pierre Gramegna, die vom Rat auf den Weg gebrachte politische Einigung. „Dies ist ein kurzer Zeitraum für einen Konsens zwischen Mitgliedstaaten“, erklärte er und fügte hinzu, dass die Details bis Ende des Jahres abschließend geklärt werden könnten und die Umsetzung in den Mitgliedstaaten bis 1. Januar 2017 vollzogen werden sollte.

In Bezug auf die Rückwirkung gab es Vorbehalte unter den Mitgliedstaaten. Hier sieht der Kompromiss des Ratsvorsitzes einen Zeitraum von 5 Jahren vor: Noch wirksame Bescheide aus dem Zeitraum ab 2012 werden so ausgetauscht.  Die Kommission hatte eine Rückwirkung von 10 Jahren vorgeschlagen, aber angesichts der Bedenken der Mitgliedstaaten hinsichtlich der mit einer solchen Maßnahme verbundenen Belastungen für die Verwaltung, hatte die Präsidentschaft eine Reduzierung auf 5 Jahre vorgeschlagen.

Auf der Frage eines Journalisten antwortete Minister Gramegna, dass ein Zeitraum von 10 Jahren für viele Mitgliedstaaten einen übermäßigen administrativen Aufwand bedeutet hätte. Da aber die durchschnittliche Frist der Bescheide 5 Jahre selten übersteige, „dürfte der Großteil abgedeckt sein“, erklärte der Minister. „Einige Mitgliedstaaten sperrten sich völlig gegen eine Rückwirkung und noch vor Kurzem lag das Gleichgewicht eher bei 3 Jahren“, erklärte der Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zollunion, Pierre Moscovici. „Ein Zeitraum von 10 Jahren scheint mir zu lang, 3 Jahre dagegen zu kurz. Ein Zeitraum von 5 Jahren ist da ein guter Kompromiss“, fügte er hinzu.

Pierre Gramegna betonte, dass die Diskussion „eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der zukünftigen Richtlinie“ erlaubt habe. „Auch Entscheidungen, die nicht mehr in Kraft sind, werden ausgetauscht, und zwar solche ab dem 1. Januar 2014“, fuhr der Minister fort. Die Ausnahmeregelung für Entscheidungen eines Landes betreffend kleine und mittlere Unternehmen wurde jedoch geändert. Diese Unternehmen profitieren von der Ausnahmeregelung bis zum 1. April 2016 und nicht bis zum 1. Januar 2017.

Der Minister verwies in diesem Zusammenhang auf den „großen Konsens, der von allen vertretenen Mitgliedstaaten begrüßt wurde“ und ein „wirklich gutes Timing“ veranschaulicht, da doch die OECD am Vorabend die Ergebnisse ihrer BEPS-Initiative veröffentlicht hatte. „Die heutige Einigung der EU ist wegweisend. Sie sendet in Sachen steuerliche Transparenz ein deutliches Signal.“

Pierre Moscovici bezeichnete diese Einigung als „großen, um nicht zu sagen historischen Erfolg“ und fügte hinzu, dass er sich an keine Einigung erinnern könne, die so schnell erzielt wurde, zumindest aber nicht mit „so großem Ehrgeiz, bei solcher Komplexität oder in einem Bereich, wo mit Einstimmigkeit entschieden wird“. Der Kommissar begrüßte die Einigung, die „das Ende einer Praxis undurchsichtiger Abreden zwischen Unternehmen und Behörden darstellt, und die Missbrauch bei der Besteuerung vereinfachen kann“. „Diese Einigung sorgt für mehr Offenheit und Kooperation unter den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Steuervorbescheide ohne jegliche Beliebigkeit bei den mitzuteilenden Informationen“, fügte er hinzu.

Finanzielle Auswirkungen der Flüchtlingskrise untersucht

Die Minister widmeten sich außerdem den von den Mitgliedstaaten zu bewältigenden Ausgaben aufgrund der Flüchtlingskrise. Pierre Moscovici erinnerte daran, dass die Kommission die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) auf alle Mitgliedstaaten „konsequent anwenden“ werde, um eine Gleichbehandlung aller zu garantieren. Diese Position hatte er bereits anlässlich des informellen Treffens der Minister für Wirtschaft und Finanzen, das am 11. September 2015 in Luxemburg stattfand, vertreten. Tatsächlich hatten einige Staaten die Kommission seit September ersucht, eine Analyse der Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf die Haushalte und die Wirtschaft durchzuführen. Der Ratsvorsitz hatte die Kommission seinerseits aufgefordert zu prüfen, in welchem Maße diese Krise „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne des SWP darstellen könnte.

Der Kommissar wies jedoch darauf hin, dass die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht über ausreichende Informationen verfüge, um eindeutig festzustellen, wie diese zusätzlichen Ausgaben im Rahmen der Regeln des SWP zu behandeln sind. „In Anbetracht des vermutlich anhaltenden Charakters der Auswirkungen der Flüchtlingsströme kann man diese etwaigen zusätzlichen Ausgaben jedoch nicht als ‚einmalig‘ im Sinnes des Paktes betrachten“, erläuterte er und versicherte, dass „der Pakt die Regel bildet“ und dass „alles auf präzisen Bewertungen beruhen wird, die es nun zu erstellen gilt“.

Umsetzung der Bankenunion

Die Minister erörterten auch die Umsetzung der europäischen Bankenunion, insbesondere mit Blick auf die Instrumente zur Sanierung von in Schieflage geratenen Banken und die Abwicklung insolventer Institute. Die Kommission legte aktualisierte Informationen über die Umsetzung einer Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, die Ratifizierung eines Regierungsabkommens über den einheitlichen Bankenabwicklungsfonds (SRF), die Arbeiten des Ausschusses für die einheitliche Abwicklung (SRB) und die Umsetzung einer Richtlinie über Einlagensicherungssysteme vor.

Zur Erinnerung: Der SRF dient der kontrollierten Abwicklung insolventer Banken, gehört zum Teil „Abwicklung“ der Bankenunion und muss ab Januar 2016 schrittweise aufgebaut werden. Der Fonds wird durch die bei der Bankenindustrie eingezogenen Nationalbeiträge der Mitgliedstaaten gespeist und er wird nach und nach vergemeinschaftet werden. Sein Kapital soll bis 2023 etwa 55 Milliarden Euro betragen.

Vor diesem Hintergrund diskutierten die Minister eine Überbrückungsfinanzierung, um den Fonds in der Phase der sukzessiven Aufstockung mit ausreichend Mitteln auszustatten. „Wir haben für die Überbrückungsfinanzierung des SFR eine Möglichkeit klar herausgestellt. Dabei handelt es sich um nationale Kreditlinien“, gab Pierre Gramegna bekannt und fügte hinzu, dass der Wirtschafts- und Finanzausschuss der EU in diesem Zusammenhang mit der Entwicklung von Leitlinien für die Mitgliedstaaten betraut worden sei.

Kapitalmarktunion: Rat fordert schnelles Handeln

Derweil fand im Rat ein Gedankenaustausch zum Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion statt, der am 30. September 2015 mit der Forderung nach einer schnellen Umsetzung verabschiedet worden war.

Der Aktionsplan der Kommission sieht die Umsetzung einer voll funktionsfähigen Kapitalmarktunion innerhalb der EU bis 2019 vor. Er formuliert verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der Kapitalmärkte, um größere Investitionsvolumina, auch aus dem Ausland, für Kapitalgesellschaften und europäische Infrastrukturprojekte anzuziehen. Eines der Hauptziele ist ein verbesserter Zugang zu Finanzierung für europäische KMU und junge Unternehmen vor allem im Bereich der innovativen Industrien.

Vor diesem Hintergrund lobte der Finanzminister einen „sehr interessanten Gedankenaustausch“. In diesem Zusammenhang betonte der Minister auch, dass sich die Arbeiten auf einige „besonders dringende Richtlinien“ konzentrieren werde, wobei die erste einen Vorschlag über die Verbriefung betrifft, der darauf abzielt, diesen Vorgang transparenter, einfacher und hochwertiger zu gestalten. Die zweite betrifft die Überarbeitung der Prospektrichtlinie, die KMU den Zugang zu Kapitalmärkten erleichtern soll.

„Es herrscht allgemein Einigkeit über die Ziele und als Ratsvorsitz streben wir einen ehrgeizigen Plan mit dem Ziel einer allgemeinen Diskussion vor Ende des Jahres an“, so Pierre Gramegna. Mit Blick auf die Überarbeitung der Prospektrichtlinie, deren Überarbeitungsentwurf im November von der Kommission vorgelegt werden dürfte, fügte er hinzu, dass der Ratsvorsitz die Diskussionen lediglich anstoßen könne. Allerdings werde er sich das Ziel setzen, bei dem bereits vorliegenden Vorschlag zur Verbriefung zügig voranzuschreiten und für die Tagung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ im Dezember 2015 eine allgemeine Orientierung zu erlangen.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 06-10-2015