Die Minister für auswärtige Angelegenheiten der EU trafen sich am 4. und 5. September 2015 in Luxemburg zu einem informellen Treffen (genannt „Gymnich“), dessen Tagesordnung von der Migrationskrise dominiert wurde.
„Wir brauchen eine Verteilung der Last auf der Grundlage fester Kriterien“, erklärte der luxemburgische Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten Jean Asselborn bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen. Dieser nahm gemeinsam mit der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, den Ko-Vorsitz dieses informellen Treffens wahr.
Jean Asselborn, der auch Minister für Immigration und Asyl ist, nannte als Verteilungskriterien insbesondere die Größe eines Landes und seine Wirtschaftskraft. Ihm zufolge werde es eine Debatte über den Fortbestand der Mechanismen zur Neuansiedlung und zur Umsiedlung der Flüchtlinge und Asylbewerber geben, die offenkundig internationalen Schutz brauchen. Auf diese konnten sich die Minister für Einwanderung beim außerordentlichen Rat "Justiz und Inneres“ vom 20. Juli 2015 nur schwer einigen. „Ich denke, dass wir in die Richtung eines dauerhaften Mechanismus gehen“, erklärte er.
Um „die enormen Unterschiede“ zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennungsrate eines Asylantrags und bei der Verfahrensdauer zu vermeiden, wiederholte Jean Asselborn seinen Vorschlag zur Einrichtung einer „europäischen Gerichtsinstanz“. Der Minister rief die Mitgliedstaaten außerdem dazu auf, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten. „Wenn eine Person, die verfolgt wird und unter die Genfer Konvention fällt, an unsere Tür klopft, ist es unsere Pflicht, sie ihr zu öffnen“, betonte er. Ihm zufolge „sind sich alle einig darüber, dass es sich um ein europäisches Problem handelt, das eine europäische Lösung erfordert“.
Der Minister gab außerdem an, vom Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) darüber informiert worden zu sein, dass „von den 300 000 in Europa angekommenen Migranten 46 % Syrer, 12 % Afghanen und etwas weniger als 12 % Eritreer“ seien. Bei diesen Nationalitäten erwähnte Federica Mogherini unter den größten Migrantengruppen auch die Iraker und stellte fest, dass „man nun auch Palästinenser unter den Flüchtlingsströmen findet“. In einer Mitteilung bemerkt das UNHCR, dass seit Beginn des Jahres 300 000 Personen das Mittelmeer überquert haben, gegenüber 219 000 im Jahr 2014. Von den 300 000 Personen kamen 200 000 in Griechenland und 110 000 in Italien an. Die Tatsache, dass so viele Personen in Griechenland angekommen sind, stellt eine „bedeutende Veränderung“ dar, erklärte Jean Asselborn, der hinzufügte, dass „wir bereit sind, den Ländern zu helfen, die Schwierigkeiten haben“, vor allem, was die Registrierung der Migranten und Flüchtlinge betrifft, die vor allem Griechenland Probleme bereitet.
Die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini sprach ihrerseits von einem „schwierigen Treffen“ zum Thema „Flüchtlingskrise“. „Es ist an der Zeit, dass wir anfangen, die richtigen Worte zu verwenden: Es handelt sich zum Teil um Migrantenströme, es handelt sich vor allem jedoch um Flüchtlingsströme. Dies ändert die Lage bezüglich unserer moralischen und gesetzlichen Pflichten“, gab sie an.
Laut der Hohen Vertreterin sei es „jeden Tag offensichtlicher, dass dies nicht nur einen Mitgliedstaat betreffen wird“, sondern die Gesamtheit der EU-Länder. Wenn das Problem vor nur wenigen Monaten noch auf bestimmte Mitgliedstaaten (Griechenland, Italien, Spanien) konzentriert war, betrifft es nun auch andere (Ungarn, Österreich, Deutschland), und es „könnte in den kommenden Monaten noch weitere betreffen“, bekräftigte sie. „Ich hoffe, dass wir endlich alle begreifen, dass alle diese Menschen nach Europa kommen, nicht in einen Mitgliedstaat“, fügte Federica Mogherini hinzu.
Die Hohe Vertreterin begrüßte im Übrigen die „sehr wichtige“ Diskussion mit den EU-Beitrittskandidaten, die an der letzten Sitzung des Treffens teilnahmen, da diese sich auf der sogenannten Balkanroute befinden. „Die Kandidatenländer sitzen angesichts dieser Krise mit im selben Boot“, fuhr sie fort und unterstrich den „regionalen und globalen“ Charakter einer Krise, die „nicht nur die EU, sondern Europa als Kontinent betrifft“. „Wir werden mit dramatischen Ereignissen konfrontiert“, betonte Federica Mogherini, für die es daher darum geht, die Zusammenarbeit mit diesen Ländern vor dem Hintergrund einer Krise, bei der „dringender Handlungsbedarf“ besteht und die „von Dauer“ sein wird, zu verstärken.
„Je schneller wir das akzeptieren, desto schneller werden wir in der Lage sein, effizient darauf einzugehen“, führte die Hohe Vertreterin weiter aus, die der Meinung ist, dass „die Zeit des gegenseitigen Fingerzeigens vorbei ist“ und es „an der Zeit ist, Entscheidungen zu treffen und sie in Taten umzusetzen, und zwar geeint als Europäer“. „Die EU hat sich bisweilen im Laufe der Geschichte durch Krisen entwickelt, und ich denke, wir sind an einem dieser Momente. Es geht nicht nur um die Flüchtlingskrise, sondern es ist die Zukunft und die eigentliche Bedeutung unserer Union, die auf dem Spiel stehen“, meinte Federica Mogherini außerdem. „Wir können durch äußere Aspekte unserer Politik Lösungen suchen und handeln, aber es sind die inneren Aspekte, die die Glaubwürdigkeit unserer äußeren Handlungen verstärken oder schwächen“, fügte sie hinzu.
Nun gibt es zwar in der EU einen „Konsens“ über die äußeren Aspekte, dies ist aber bei den inneren Aspekten nicht der Fall. So lehnen mehrere Mitgliedstaaten insbesondere im Osten der EU jeglichen verbindlichen Mechanismus zur Verteilung der Asylbewerber und Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten kategorisch ab. „Jeder begreift heute, dass ein Mechanismus zur Teilung der Verantwortung notwendig ist, aber die Standpunkte über die Definition eines solchen Mechanismus sind sehr unterschiedlich“, fuhr die Hohe Vertreterin fort, bevor sie darauf hinwies, wie schwierig die Umsetzung eines freiwilligen Mechanismus sei, wenn es um die Festlegung von Zahlen geht. Ein System, das „sehr kompliziert“ ist und das „Zeit in Anspruch nimmt“, obwohl „wir diesen Luxus nicht haben“. „Wir brauchen ein gemeinsames und schnelles System“, betonte sie.
Bei dem Treffen vereinbarten die Mitgliedstaaten und die Kandidatenländer daher eine Verstärkung ihrer Zusammenarbeit auf fünf verschiedenen Ebenen. Es geht um den Schutz der Asylbewerber, die Grenzverwaltung „unter Einhaltung der Menschenrechte“, den Kampf gegen die Schleuser, die Arbeit mit den Herkunfts- und Transitländern sowie darum, die Probleme bei der Wurzel zu packen, d. h. die „Zunahme der Konflikte“ sowie insbesondere die Libyenkrise und den Syrienkonflikt.
Federica Mogherini kam anschließend wieder auf das Thema Naher Osten zu sprechen, das ebenfalls auf der Tagesordnung des informellen Ministertreffens stand. Ein Thema, das sie im Übrigen mit der Migrationskrise in Verbindung brachte, indem sie die Anwesenheit von immer mehr Palästinensern unter den Migranten- und Asylbewerberströmen nach Europa unterstrich. Die Hohe Vertreterin berichtete von einer „langen und konstruktiven“ Diskussion zwecks Vorbereitung der nächsten Schritte und insbesondere der Arbeit mit den Partnern des Nahost-Quartetts (EU, USA, Russland und UNO) im israelisch-palästinensischen Friedensprozess. „Für einen Neustart des Prozesses nach über einem Jahr der Blockade zu sorgen ist auch eine Möglichkeit, zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und einer besseren Zusammenarbeit mit der arabischen Welt und dem Nahen Osten beizutragen“, meinte sie.
Die Beziehungen zu Russland standen ebenfalls auf der Tagesordnung dieses informellen Treffens. Federica Mogherini verwies auf „gute und konstruktive“ Diskussionen mit Russland, insbesondere bezüglich der Themen Migrationsdruck, Einigung mit dem Iran und Friedensprozess im Nahen Osten. Sie erwähnte jedoch auch die schwierigen Beziehungen der östlichen Nachbarn der EU mit Russland vor dem Hintergrund der Ukrainekrise, und erinnerte daran, dass die EU die „vollständige“ Umsetzung der Minsker Abkommen unterstützt.