Die Beschlussfassung in der Europäischen Union

Die Europäische Union wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zur Förderung des Friedens in Europa gegründet. Die Beschlussfassung mittels Einigung und/oder Konsens war somit ein ausschlaggebendes Prinzip, das sich auch heute noch in den Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozessen sowie in den Strukturen der wichtigsten Institutionen der Union wiederfindet.

Die drei wesentlichen Institutionen der EU, d. h. die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat der EU (das sogenannte "institutionelle Dreieck"), bilden das Herzstück des Entscheidungsprozesses der EU und der Verabschiedung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften.

Die Kommission, die einzige Institution, die das legislative Initiativrecht innehat, schlägt Gesetzestexte vor, die in den meisten Fällen vom Europäischen Parlament, das direkt von der Bevölkerung gewählt wird, und dem Rat der EU (bestehend aus den Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten) verabschiedet werden. Diese zwei Institutionen müssen im Hinblick auf den zu verabschiedenden Text eine gleichberechtigte Einigung treffen. Dieser bei der Verabschiedung europäischer Rechtsvorschriften gängigste Prozess wird ordentliches Gesetzgebungsverfahren oder auch "Mitentscheidungsverfahren" genannt.

Wir wird die europäische Gesetzgebung ausgearbeitet?

Jeder neue Entwurf erfordert eine intensive Vorarbeit vonseiten der Kommission. Die Kommission führt bei der Ausarbeitung einer neuen politischen Initiative eine "Folgenabschätzung" durch, in der die potenziellen Vor- und Nachteile in wirtschaftlicher, sozialer und umweltbezogener Hinsicht bewertet werden. Vor diesem Hintergrund führt die Kommission eine Konsultation mit den betroffenen Parteien (NRO, Branchen, Berufsgruppen, Zivilgesellschaft etc.) und der interessierten Öffentlichkeit durch. Bei fachlichen Fragen wird die Kommission von Expertengruppen beraten.

Der Entwurf des Legislativvorschlags wird außerdem den nationalen Parlamenten vorgelegt, die ihre Vorbehalte formell vorbringen dürfen, wenn sie der Ansicht sind, dass ein bestimmtes Thema auf nationaler Ebene und nicht auf europäischer Ebene behandelt werden sollte (Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips).

Wie wird die europäische Gesetzgebung verabschiedet?

Im nächsten Schritt veröffentlicht die Kommission ihren Gesetzesvorschlag, der dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU zur Prüfung vorgelegt wird. Auch von den beratenden Organe wie dem Ausschuss der Regionen (AdR) und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) werden Stellungnahmen eingeholt.

Das Parlament und der Rat können den Entwurf anschließend entweder wie vorgelegt bestätigen – in diesem Fall wird der Rechtsakt in erster Lesung verabschiedet – oder Änderungen vorgeschlagen. In letzterem Fall bildet der von den einzelnen Institutionen abgeänderte Text die Verhandlungsgrundlage in sogenannten "Trilogen" (informelle Dreiparteientreffen zwischen Parlament, Rat und Kommission) mit dem Ziel, eine Einigung zu erzielen. Im Rahmen dieser Treffen obliegt es der Europäischen Kommission, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Positionen der beiden anderen Delegationen anzunähern. Können letztere keine Einigung erzielen, folgt eine zweite Lesung.

In zweiter Lesung können das Parlament und der Rat wiederum Änderungen vorschlagen, bevor neue informelle Triloge organisiert werden. In dieser Phase des Verfahrens ist das Parlament befugt, den Entwurf abzulehnen, falls keine Einigung mit dem Rat erzielt wird. Soweit sich die beiden Institutionen über die Änderungen des Entwurfs verständigen können, kann dieser angenommen werden. Im gegenteiligen Fall bemüht sich ein Vermittlungsausschuss darum, eine Lösung zu finden. In dieser Phase (dritte und letzte Lesung) können der Rat und das Parlament den Entwurf ablehnen.

Besondere Gesetzgebungsverfahren

In bestimmten Fällen und spezifischen Bereichen (internationale Abkommen, Beitritt neuer Mitglieder zur EU, Ausnahmen von den Binnenmarktvorschriften und insbesondere Wettbewerbsrecht) wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren durch besondere Verfahren ersetzt, bei denen der Rat praktisch alleiniger Gesetzgeber ist. Das Europäische Parlament muss seine Zustimmung zum Gesetzentwurf geben oder zu diesem konsultiert werden.

Im Rahmen des Zustimmungsverfahrens kann der Rat Gesetzentwürfe verabschieden, nachdem er die Genehmigung des Europäischen Parlaments eingeholt hat. Das Parlament ist dabei befugt, mit absoluter Mehrheit einen Gesetzentwurf anzunehmen oder abzulehnen, jedoch ohne Änderungen. Der Rat darf sich über die Stellungnahme des Parlaments nicht hinwegsetzen.

Im Rahmen des Konsultationsverfahrens nimmt der Rat einen Gesetzentwurf an, nachdem das Parlament zu diesem eine Stellungnahme abgegeben hat. Im Rahmen dieses Verfahrens kann das Parlament einen Gesetzentwurf annehmen oder ablehnen oder Änderungen zu dem Entwurf vorschlagen. Der Rat ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs rechtlich nicht verpflichtet, der Stellungnahme des Parlaments zu folgen; er darf jedoch keine Entscheidung treffen, ohne diese Stellungnahme zur Kenntnis genommen zu haben.

Offenheit und Transparenz in der Europäischen Union

Der Vertrag von Lissabon hat die Offenheit und Transparenz der Entscheidungsprozesse der EU verstärkt, insbesondere durch Vorschriften über die Offenlegung gewisser Arbeiten des Rates sowie durch die Veröffentlichung der Ergebnisse auf der Internetseite dieser Institution. Die Bemühungen um eine erhöhte Transparenz waren bereits seit langem im Gange und heute ist es nun möglich, die Entscheidungsprozesse von dem Gesetzesentwurf an bis hin zur Annahme im Abstimmungsverfahren auf verschiedene Art und Weise zu verfolgen.

Insbesondere die folgenden Punkte sind dabei eine direkte Folge dieses Strebens nach mehr Transparenz:

Der Rat überträgt Pressekonferenzen, öffentliche Meetings und Debatten live, während das Parlament seine Treffen ebenfalls live über einen eigenen Videoservice überträgt. Auch die Europäische Kommission verfügt über einen audiovisuellen Internet-Service, über den zur Mittagszeit die täglich stattfindenden Pressesitzungen, bei denen die Kommissare und Sprecher über die laufenden Arbeiten der Kommission berichten, übertragen werden.

Mehrere Datenbanken können von der interessierten Öffentlichkeit abgerufen werden, um die institutionellen Verfahren zu verfolgen, u. a. Pre-lex, eine Datenbank, über die die wesentlichen Schritte der Entscheidungsprozesse nachvollzogen und entsprechende Dokumente eingesehen werden können, oder OEIL, die Datenbank des Europäischen Parlaments. In dieser Datenbank werden sämtliche Unterlagen in Bezug auf Gesetzentwürfe und Initiativen gesammelt, die vom Parlament bearbeitet werden. Sie ermöglicht es, den Entscheidungsprozess von Anfang bis Ende nachzuverfolgen.

Die meisten Unterlagen der EU sind über das Zugangsportal zu allen offiziellen Dokumenten der Institutionen, Agenturen und Einrichtungen der Europäischen Union frei zugänglich und abrufbar.

Die Abstimmungsergebnisse des Rates über Rechtsakte werden erfasst und auf dem Portal des Rates können die Ergebnisse früherer Abstimmungen abgerufen werden, während alle erfassten Abstimmungsergebnisse des Europäischen Parlaments über das Portal des Europäischen Parlaments abrufbar sind.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 16-06-2015