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54. COSAC-Sitzung – Erweiterungspolitik im Zentrum der Debatten der nationalen Vertreter

Der zweite Arbeitstag der Vertreter aus den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten, die am 30. November und 1. Dezember 2015 anlässlich der 54. COSAC-Sitzung in Luxemburg zusammen kamen, hatte die Erweiterungspolitik der EU zum Thema.

Simon Mordue, Gunther Krichbaum et Kamal Izidor Shaker à Luxembourg, le 1er décembre 2015Simon Mordue, Direktor des Bereichs „Strategie und Türkei“ der Generaldirektion Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen (GD NEAR) der Europäischen Kommission, war der Ansicht, dass der Erweiterungsprozess durch die Initiierung eines Prozesses wirtschaftlicher und demokratischer Reformmaßnahmen zur Einführung konkreter Reformen beitragen könne. Dieser Prozess ermögliche es, die Widerstandsfähigkeit der Bewerberländer und die Stabilität in den Nachbarländern zu stärken, erklärte er. Das von der Europäischen Kommission am 10. November 2015 vorgestellte „Erweiterungspaket“ sei eine Gelegenheit, die Fortschritte der Balkanländer und der Türkei zu überprüfen, so Mordue.

Er nahm Bezug auf einen neuen Ansatz der Kommission, der darin besteht, den Schwerpunkt stärker auf den Stand der Vorbereitungen der Bewerberländer zu legen, denn „der Erfolg bei der Erweiterung hängt nicht von der Geschwindigkeit ab, sondern von einer harmonischen Integration und von der Frage, ob ein Bewerberland bereit ist, die Beitrittsverpflichtungen zu übernehmen“. Ziel der Kommission sei es außerdem, viel ausführlichere Leitlinien zur Art der erwarteten Reformen bereitzustellen, präzisierte Simon Mordue, der hinzufügte, dass „noch viel zu tun bleibt“, insbesondere bei den zentralen Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Rechtssysteme, Meinungsfreiheit oder auch Kampf gegen das organisierte Verbrechen und Korruption. Er betonte darüber hinaus, dass es notwendig sei, die Volkswirtschaft eines Landes gut vorzubereiten, damit sie im Binnenmarkt wettbewerbsfähig ist.

Ein „leistungsorientierter“ Ansatz

Der europäische Verantwortungsträger wies darauf hin, dass die Erweiterung auf einem „leistungsorientierten Ansatz“ beruhe und dass sich am Ende die 28 Mitgliedstaaten einstimmig auf den Beitritt eines Landes einigen müssten, da es sich um ein zwischenstaatliches Verfahren handele.

Er rief ferner dazu auf, die Erweiterungspolitik nicht mit der Nachbarschaftspolitik zu verwechseln. Darüber hinaus betonte er, dass die Erweiterung im Jahr 2004 es den alten Mitgliedstaaten ermöglicht habe, innerhalb von zehn Jahren ihre Ausfuhren in die zehn neuen Mitgliedstaaten zu verdoppeln, was zum Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf beiden Seiten beigetragen habe.

Simon Mordue begrüßte die Bemühungen von Montenegro und insbesondere von Serbien, das „wichtige Fortschritte“ gemacht habe, vor allem durch den Normalisierungsprozess der Beziehungen zum Kosovo, der es ermöglicht habe, ein Abkommen in vier Bereichen zu besiegeln, aber auch dank eines „ehrgeizigen“ Programms wirtschaftlicher Reformen. Diese Fortschritte werden es möglich machen, demnächst Kapitel 35 der Verhandlungen über den Normalisierungsprozess der Beziehungen zum Kosovo in Angriff zu nehmen, bekräftigte der europäische Verantwortungsträger.

Was Bosnien und Herzegowina sowie den Kosovo anbelangt, brachte Simon Mordue seine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass (am 27. Oktober 2015) das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit Priština geschlossen wurde – ein „historischer Schritt“ – und dass das SAA mit Sarajewo (am 1. Juni 2015) in Kraft getreten ist.

Die „enge Zusammenarbeit“ mit der Türkei hindere die Kommission nicht daran, konkrete Probleme zu benennen, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist, führte der europäische Verantwortungsträger weiter aus. Er nannte dabei insbesondere das Dossier zur Kurdenfrage, die Wahrung der Grundrechte sowie des Rechts auf freie Meinungsäußerung und rief zu Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit auf. Er forderte außerdem, eine „populistische“ Rhetorik zu vermeiden, der zufolge die Türkei nicht zu Europa gehöre, und betonte, dass das Land seit 1949 Mitglied des Europarats sei. Ihm zufolge stehe jedoch fest, dass das Land die Reformen umsetzen müsse, die durch den Erweiterungsprozess angeregt werden.

Der europäische Verantwortungsträger kritisierte demgegenüber die „fragile“ Situation in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (EJRM) aufgrund „exzessiver politischer Einflussnahme“, obwohl es das erste Land in der Region gewesen sei, das 2001 ein SAA unterzeichnet habe. Die Kommission sei dennoch bereit, ihre Empfehlung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu verlängern, wenn das Land die dringenden politischen Reformen sowie die politische Vereinbarung von Juni-Juli zur Überwindung der politischen Krise umsetzt, so Simon Mordue unter Verweis auf den Jahresbericht der Kommission.

Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, vertrat seinerseits die Ansicht, es sei „untragbar“, dass bilaterale Streitfragen auf die Ebene der EU übertragen werden, und verwies dabei auf den Namensstreit zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (EJRM) und Griechenland. Er kritisierte die Tatsache, dass ein Land den Prozess als Druckmittel zur Beilegung seiner bilateralen Streitigkeiten instrumentalisieren könne. Seiner Auffassung nach laufe der Beitrittsprozess Gefahr, „sich zu erschöpfen“, wenn nach mehr als zehn Jahren die Verhandlungen immer noch nicht vorankommen und nicht zu „einer realistischen Perspektive“ führen. Seiner Ansicht nach sei die EU „der geeignete Rahmen“, um derartige Streitigkeiten beizulegen.

„In jedem Beitrittsprozess überwiegen die qualitativen gegenüber den quantitativen Aspekten“

Gunther Krichbaum erklärte, dass „die Geschichte der Erweiterung der EU ein Erfolg ist, um den die ganze Welt uns beneidet“. Ihm zufolge sei diese „Gemeinschaft aus 28 Staaten“ nicht nur eine „Wirtschaftsgemeinschaft“, sondern auch eine „Werteunion“. „Was sie attraktiv macht, ist ihr Engagement für den Frieden, die Grundfreiheiten, die Rechtsstaatlichkeit, die soziale Sicherheit usw.“, erklärte er.

Der Redner äußerte die Auffassung, dass die Agenda von Thessaloniki für die westlichen Balkanstaaten eine Verpflichtung sei, an die sich die EU halten müsse, und dass diese anwendbar bleiben sollte, um diesen Ländern eine Beitrittsperspektive zu geben.

Gunther Krichbaum zufolge ist die Anzahl der offenen Verhandlungskapitel allein nicht maßgebend für die Art und Weise, in der Fortschritte erzielt werden. In jedem Beitrittsprozess überwiegen seiner Ansicht nach „die qualitativen gegenüber den quantitativen Aspekten“. Der Redner hob zudem hervor, dass im Rahmen jedes Beitritts „die Gründlichkeit Vorrang vor der Geschwindigkeit haben muss“.

Ihm zufolge müssten bei jedem Bewerberland die „schwierigsten“ Verhandlungskapitel prioritär behandelt werden. „Die einfachsten Kapitel müssen sich nicht am Anfang des Prozesses befinden, denn dies würde es den amtierenden Regierungen ermöglichen, sich den Erfolg zuzuschreiben, indem sie ihren Wählern vermitteln, dass mit ihnen die Verhandlungen schneller vorangekommen seien“, erklärte er.

Gunther Krichbaum rief daraufhin die Bewerberländer dazu auf, so bald wie möglich die notwendigen Reformen zu verabschieden, um EU-Mitglieder werden zu können, insbesondere jene in Verbindung mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit. „Diese Reformen dienen nicht dazu, Paris, Berlin oder Brüssel eine Freude zu machen, sondern liegen im eigenen Interesse der Länder“, erklärte er und wies anschließend auf die mangelnde Aneignung von Reformen hin. „Wenn Sie der EU beitreten, werden Sie ihrem Konkurrenzdruck unterworfen“, meinte er. „Es geht darum, dafür zu sorgen, dass Ihre eigenen Bürger die Früchte des Beitritts ernten können“, sagte er, wobei er darauf hinwies, dass Korruption und organisierte Kriminalität die gesamte Gesellschaft betreffen, insbesondere die Ärmsten.

Was die Idee betrifft, wonach die EU sich vor einer Erweiterung vertiefen solle, räumte Gunther Krichbaum ein, dass mit 28 Mitgliedstaaten „die Dinge kompliziert sind“. Er wies jedoch darauf hin, dass während der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise „die Probleme hauptsächlich von den alten Mitgliedstaaten verursacht worden sind“. Es sei daher wichtig, dass neue Reformen verabschiedet werden, und zwar nicht nur von den neuen, sondern auch von den alten Mitgliedstaaten, erklärte er, wobei er auf die länderspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kommission verwies.

Die Erweiterung ist „eine Chance für Europa, sich den aktuellen weltweiten Herausforderungen zu stellen“

Kamal Izidor Shaker, Vorsitzender des Ausschusses für europäische Angelegenheiten des slowenischen Parlaments, erklärte seinerseits, dass die Schwierigkeiten in Verbindung mit der jüngsten Wirtschaftskrise „die Erweiterung etwas zur Seite gedrängt haben“.Seiner Auffassung nach bleibe die Erweiterungspolitik der EU dennoch ein Erfolg, wobei er anmerkte, dass die EU „immer noch eine große Anziehungskraft auf das Ausland ausübt“.„Die Erweiterung kann als eine Chance für Europa angesehen werden, um sich den aktuellen weltweiten Herausforderungen zu stellen“, bekräftigte er.

Abschließend betonte der Redner, „die Klarheit der Kriterien“ sei „einer der Faktoren gewesen, die zum Erfolg der vorhergehenden Beitritte beigetragen haben“.

Während der Debatte hoben mehrere Abgeordnete den Erfolg der Erweiterungspolitik hervor. Einige warnten vor einer gewissen „Erweiterungsmüdigkeit“, sowohl in der EU als auch in den Bewerberländern, und riefen dazu auf, den Beitritt nicht ewig abzulehnen, sondern den Balkanstaaten eine Perspektive zu geben.

Mehrere Abgeordnete betonten in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Beitrittsprozesses, der die Länder dazu antreibe, Reformen durchzuführen und ihren Rechtsstaat zu modernisieren.

Andere vertraten hingegen die Auffassung, dass der Vertiefungsprozess in der EU verstärkt werden müsse, wobei sie vor einer „Überlastung“ warnten, und dass der drohende Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU („Brexit“) Anlass zum Nachdenken geben sollte.

Andere wiederum prangerten die „Heuchelei“ in der Debatte über den Beitritt der Türkei an, die geographisch und kulturell gesehen nicht zu Europa gehöre, wobei jedoch niemand die „Aufrichtigkeit“ besitze, dies auszusprechen.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 01-12-2015