Wirtschaft und Finanzen
Informelles Ministertreffen

Informelles Treffen des Ecofin – Debatte der Minister über die Flüchtlingskrise und deren finanziellen Auswirkungen

ecofin-gramegna-moscoviciDie europäischen Wirtschafts- und Finanzminister trafen sich am ersten Tag des informellen Treffens für diese Ressorts, das am 11. September 2015 im Rahmen des luxemburgischen Vorsitzes des Rates der Europäischen Union (EU) in Luxemburg stattfand. Hier erörterten die Minister rund zwei Monate vor dem Klimagipfel in Paris (COP21) eine mögliche Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels, das Prinzip einer Mindesteffektivbesteuerung sowie die finanziellen Auswirkungen der derzeitigen Flüchtlingskrise in der EU.

Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels

Während der Pressekonferenz im Anschluss an dieses Treffen erinnerte Pierre Gramegna, Finanzminister und Vorsitzender des Ecofin-Rates, an die Zusagen der EU, dazu beizutragen, bis 2020 jährlich rund 100 Milliarden Dollar aufzubringen: ein „ehrgeiziges Ziel“, wo doch der Klimawandel „gewaltige Bevölkerungsbewegungen mit sich bringen“ werde. Der Minister betonte die Einigkeit unter seinen Amtskollegen hinsichtlich der wichtigen Rolle privater Investitionen in diesem Zusammenhang, und dass es darum gehe, angemessene Anreize zu setzen. Er kündigte im Übrigen an, dass die Beschlüsse des Ecofin-Rates über die Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels erst bei seinem Treffen am 10. November 2015 verabschiedet würden.

Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzen, Besteuerung und die Zollunion, fügte seinerseits hinzu, dass es „größtmöglicher Transparenz“ bezüglich der Beiträge bedürfe, gleich ob diese öffentlicher oder privater Natur seien. Der Kommissar verwies außerdem auf ein Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister am Rande der Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds im Oktober 2015 in Lima (Peru), bei dem „diese Themen erörtert werden sollen“. „Wir müssen unseren Partnern versichern, dass wir uneingeschränkt hinter dem Ziel von 100 Milliarden Dollar jährlich stehen“. „Das Ausmaß von Erfolg oder Misserfolg der Pariser Konferenz wird von der Frage der Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels abhängen“, schloss der Kommissar.

Höhe der Mindesteffektivbesteuerung in der EU und gegenüber Drittländern

Die Minister debattierten anschließend über die Höhe der Mindesteffektivbesteuerung in der EU und gegenüber Drittländern.  Pierre Gramegna wies in diesem Zusammenhang auf eine „gemeinsame“ Analyse all derjenigen Mitgliedsstaaten hin, die „sehr niedrige oder überhaupt keine Steuersätze für multinationale Unternehmen nicht akzeptieren können“. „Es herrscht Einigkeit darüber, dass gegen eine aggressive Steuerpolitik vorzugehen ist und dass es eine Nicht-Besteuerung zu vermeiden gilt“, so der Minister.

Nach Meinung des Finanzministers stelle eine Mindesthöhe der Effektivbesteuerung lediglich „eines der Instrumente im Kampf gegen Steuerflucht und -hinterziehung“ dar; dieses Thema sei vor dem Hintergrund der BEPS-Initiative (zur Bekämpfung der Aushöhlung der Besteuerungsgrundlage und der Gewinnverlagerungen) der OECD um so wichtiger, deren Schlussfolgerungen in etwa einem Monat veröffentlicht würden.

Vor diesem Hintergrund betonten die Minister die Bedeutung, die sie dem Binnenmarkt beimessen und bestanden auf „der Notwendigkeit, die vom Vertragswerk vorgesehenen Freiheiten zu bewahren“, ergänzte Pierre Gramegna. Die Minister würden ihre Arbeit an der Revision der Richtlinie über Zinsen und Lizenzgebühren weiter fortsetzen und kamen darin überein, alle Mittel einzusetzen, um das Projekt zügig voranzutreiben, gab der Minister bekannt; man habe aufgrund der Komplexität des Themas jedoch „noch keinen verbindlichen Zeitrahmen festlegen können“, fügte er hinzu.

Die Minister unterstrichen außerdem ihre Einigung hinsichtlich eines baldigen Abschlusses des Richtlinienvorschlags über den automatischen Austausch der soganannten „tax rulings“ (verbindliche Vorabauskünfte bzw. Auskunftsbescheide zu steuerlichen Fragestellungen) zwischen den Mitgliedsstaaten, mit dem Ziel ihrer Finalisierung und Verabschiedung beim nächsten Treffen des Ecofin-Rats am 6. Oktober 2015. Es handele sich hier „um eine der Kernprioritäten des Ratsvorsitzes und der Kommission“ erklärte der Minister und fügte hinzu, es gehe „um die Glaubwürdigkeit der EU, und dies ist ein Zeichen, mit dem wir unter Beweis stellen, dass wir an der Spitze stehen wollen und eine Richtlinie anstreben, die weltweite Maßstäbe setzt“.

Pierre Gramegna berichtete außerdem über eine Diskussion über die von der Europäischen Kommission eingeführten Liste mit Rechtssystemen, die die Kriterien der steuerlichen Transparenz nicht erfüllen. Diesbezüglich informierte die Kommission die Minister über ihre Absicht, in den kommenden Tagen oder Wochen eine überarbeitete Liste zu veröffentlichen, bei der „die seit ihrer Veröffentlichung im Juli 2015 eingegangenen Anmerkungen berücksichtigt würden“.

Pierre Moscovici begrüßte seinerseits die sehr wichtige Diskussion „über Wege, sicherzustellen, dass multinationale Unternehmen, die ihre Gewinne in der EU erzielen, einen angemessenen Anteil an den Steuern in der EU zahlen“, wobei der Kommissar der Meinung war, dass es „inakzeptabel sei, dass einige Unternehmen keine oder so gut wie keine Steuern auf die enormen Gewinne, die sie in der EU erwirtschaften, zahlen“. „Wir müssen sicherstellen, dass diese Gewinne in angemessener Höhe dort besteuert werden, wo die Geschäftstätigkeit ausgeübt wird“, fuhr Pierre Moscovici fort. Er führte aus, dass es der Kommission nicht darum gehe, Mindeststeuersätze zu vereinheitlichen, sondern darum, sich auf den Grundsatz zu einigen, dass „jeder seinen Anteil übernimmt“, denn die Hauptgeschädigten von Steuerflucht sind andere Unternehmen, vor allem KMU, sowie die Bürger und Bürgerinnen.

Pierre Moscovici vertrat die Auffassung, dass der Richtlinienvorschlag über den automatischen Austausch der tax rulings „jetzt“ verabschiedet und zügig umgesetzt werden sollte, um mit den Arbeiten der OECD Schritt zu halten. Der Kommissar nannte als Zeitpunkt Beginn 2016. Er wiederholte, dass das System ehrgeizig sein sollte und dass die Kommission „einer der Akteure“ sein sollte (denn der Vorschlag sehe vor, dass die Institution im Kern des Austauschs stehen solle), um insbesondere das sogenannte „level playing field“ (gleiche Regeln für alle) zu gewährleisten. Er führte weiter aus: „Wir benötigen einen Regulierungsmechanismus, der sicherstellt, dass der Austausch auch tatsächlich stattfindet; und hier kommt die Kommission ins Spiel.“

Flüchtlingskrise

In Bezug auf die derzeitige Flüchtlingskrise in der EU wies  Pierre Gramegna darauf hin, dass eine kurzfristige Lösung nicht in Sicht sei, „da es mehrere Probleme zu berücksichtigen gilt“, sei es in Bezug auf „soziale Probleme, Arbeit und Beschäftigung, Bildung, Verteidigung oder auch Sicherheit“. „All diese Faktoren werden sich auf den EU-Etat einerseits und auf die nationalen Haushalte andererseits auswirken“, fügte der Minister hinzu und gab bekannt, dass die Wirtschafts- und Finanzminister der EU die Kommission um die Erstellung einer  wirtschaftlichen und finanziellen Analyse der Auswirkungen der Flüchtlingskrise ersucht haben. Gleichzeitig haben der Ratsvorsitz und mehrere Mitgliedsstaaten die Neutralisierung der Ausgaben für die Bewältigung der Flüchtlingskrise angesichts der europäischen Regeln über das Haushaltsdefizit in diesem Zusammenhang vorgeschlagen. In dieser Hinsicht forderte der Ratsvorsitz die Kommission auch auf, zu untersuchen, inwiefern die Flüchtlingskrise in die Kategorie „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts fallen könnte, so der Minister. Schließlich, so Pierre Gramegna, bekundeten zwei internationale Institutionen ihre Bereitschaft, sich an der Finanzierung der zu ergreifenden Maßnahmen zu beteiligen: zum einen die Europäische Investitionsbank, mit der die Minister während eines Arbeitsessens vor ihrem informellen Treffen am 11. September hatten diskutieren konnten, und zum anderen die Entwicklungsbank des Europarates.

Der Kommissar Pierre Moscovici erinnerte seinerseits daran, dass die Kommission die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts „einheitlich“ für alle Mitgliedsstaaten anwenden werde. „Dies wird jetzt und zukünftig stets unter Berücksichtigung der besonderen oder gar außergewöhnlichen Umstände geschehen“, fügte er hinzu, wobei er präzisierte, dass die Kommission ihre Analyse „zur rechten Zeit“ durchführen werde. Pierre Gramegna war hingegen der Meinung, dass diese „außergewöhnliche Situation in Anbetracht der Flüchtlingszahlen und der enormen Geldsummen, um die es hier geht“, durchaus als eine Situation betrachtet werden könne, die das durch den Vertrag vorgesehene Kriterium der „außergewöhnlichen Umstände“ erfüllen könnte.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 11-09-2015