Institutionelle Angelegenheiten
Minister im Europäischen Parlament

Xavier Bettel stellte dem Plenum des Europäischen Parlaments die Prioritäten des luxemburgischen EU-Ratsvorsitzes vor

Xavier Bettel devant le Parlement européenAm Tag nach der Debatte über die Bilanz des lettischen Ratsvorsitzes, der am 30. Juni 2015 zu Ende ging, stellte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel am 8. Juli 2015 dem Europäischen Parlament die Prioritäten des zwölften EU-Ratsvorsitzes vor, den das Großherzogtum bis zum Jahresende 2015 wahrnehmen wird.

Bei dieser Gelegenheit betonte der Premierminister die „tiefe Verbundenheit“ Luxemburgs mit dem Projekt der europäischen Integration. Diese Verbundenheit hat auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, betont, der Luxemburg als „eine der Säulen der europäischen Integration betrachtet“, wenn nicht gar deren „Verkörperung“. Grund hierfür sei Luxemburgs Bereitschaft, Kompromisse zu schließen, ohne die Europa nicht vorankommen würde, wie er am Ende der Sitzung gegenüber der Presse erklärte.

„Wir werden alles daran setzen, eine aufrichtige und effiziente Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament aufzubauen, die pragmatisch ist und auf gesundem Menschenverstand beruht“, versicherte Xavier Bettel den Europaabgeordneten, bevor er die sieben Schwerpunkte erläuterte, auf die sich die Prioritäten des luxemburgischen Ratsvorsitzes beziehen:

  • Investitionen für mehr Wachstum und Beschäftigung freisetzen
  • Die soziale Dimension Europas vertiefen
  • Die Migration besser bewältigen – Freiheiten, Recht und Sicherheit miteinander verbinden
  • Die Dynamik des Binnenmarkts wiederbeleben durch Digitalisierung
  • Die europäische Wettbewerbsfähigkeit an einem globalen und transparenten Rahmen ausrichten
  • Das Prinzip der Nachhaltigkeit fördern
  • Die Präsenz der Europäischen Union in der Welt stärken

„Wir stehen vor ernsthaften Herausforderungen“, so Xavier Bettel

 „Dieser Ratsvorsitz wird keine Routinepräsidentschaft für Luxemburg“, unterstrich Xavier Bettel vor den Europaabgeordneten. „Die Begleitumstände sind nicht günstig“ und der Moment sei „kritisch für die Union“, führte er weiter aus.

„Wir stehen vor ernsthaften Herausforderungen“, erklärte der luxemburgische Premierminister und listete diese auf: das „Wachstum, das nicht in allen Mitgliedsstaaten angesprungen ist“, aber auch „die Arbeitslosigkeit, vor allem bei der Jugend,“ die „noch immer ein regelrechtes Übel ist“. Vor der Presse wies Xavier Bettel auf die Bedeutung eines sozialeren Europas hin. Dabei sei es eine Herausforderung, den Bürger verständlich zu machen, dass Europa in ihrem Interesse handelt.

„Die Hoffnungslosigkeit Tausender Einwanderer, die versuchen nach Europa zu kommen, verpflichtet uns politisch und moralisch, eine neue Einwanderungspolitik umzusetzen“, fügte Xavier Bettel hinzu und unterstrich, dass dieser Punkt im Zentrum der Debatte mit den Europaabgeordneten gestanden habe und die Aufgabe „nicht einfach“ sei. Man müsse jedoch bedenken, dass man sein Land mit nur einem Plastikbeutel als Gepäck nicht leichten Herzens verlasse, sondern um sein Leben und das seiner Kinder zu retten. „Während der Ratssitzung Ende Juni hat man feststellen können, wie schwierig diese Fragen sind. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Mitgliedsstaaten, die Institutionen und unsere Bürger zusammenbringen können, um eine ausgewogene und solidarische Steuerung der Einwanderung zu fördern. Ich weiß allerdings auch, dass dies die Anstrengungen aller erfordern wird“, hatte Xavier Bettel im Vorfeld erklärt. Dabei hat der Premierminister am Ende der Debatte Schlussfolgerungen über die Notwendigkeit gezogen, den Begriff der Solidarität zu erklären, und sich anschließend vor der Presse zufrieden geäußert, dass „die Mehrheit der politischen Fraktionen dies unterstützt“ und damit die schwierige Lage bei gesellschaftlichen Fragen anerkennt.

„Ich denke auch an die Herausforderungen im Bereich der Sicherheit oder auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung“, fügte der luxemburgische Premierminister der Liste hinzu. Während der Debatte zur Frage der Bekämpfung des Klimawandels angesprochen, wiederholte Xavier Bettel seinen Standpunkt im Hinblick auf die Pariser Konferenz im Dezember. „Wir müssen innerhalb der globalen Teilnehmerschaft ein ehrgeiziges und verpflichtendes Engagement eingehen“, betonte er und brachte gleichzeitig seinen Wunsch, sämtlichem ökologischen Dumping ein Ende zu setzen, zum Ausdruck. „Die Pariser Konferenz ist ein Datum, das man nicht verschlafen darf“, wiederholte er vor der Presse.

„Der luxemburgische Ratsvorsitz wird darüber wachen, dass die realen und direkten Interessen der Bürger in allen Politikbereichen der Union besser einbezogen werden“, erklärte der Premierminister und fügte hinzu, „auf das Engagement und die Entschlossenheit des Europäischen Parlaments zu setzen“. „Wir alle müssen gemeinsam einig und entschlossen handeln“, rief Xavier Bettel den europäischen Abgeordneten zu. Er erinnerte sie daran „dass es die Aufgabe der politisch Verantwortlichen und Vertreter der europäischen Bürger ist, zu zeigen, dass Europa Lösungen finden kann“.

In diesem Zusammenhang wies Xavier Bettel besonders auf die neue interinstitutionelle Vereinbarung zur Verbesserung der Regeln hin, welche der luxemburgische Ratsvorsitz noch bis zum Ende des Jahres zum Abschluss bringen will, und versprach dabei Verhandlungen „in einem konstruktivem und pragmatischen Sinn, wobei vor allem das europäische Interesse im Zentrum steht“. Die Botschaft wurde vom Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, als ermutigend aufgenommen. Dieser äußerte gegenüber der Presse seine Bereitschaft, an dieser Vereinbarung „rastlos zu arbeiten“.

Martin Schulz wies insbesondere auf die Schwerpunkte zur Investitionspolitik und Steuerpolitik hin. Zwei Bereiche, in denen es ihm zufolge „wichtig ist, voranzukommen“. „Luxemburg möchte im Bereich Steuerpolitik vorankommen“, wiederholte Xavier Bettel vor der Presse. „Es handelt sich um eine Priorität, die Luxemburg in einem globalen Rahmen betrachten will, so dass ein lauterer Wettbewerb gesichert ist“, hatte er zuvor im Plenum erklärt und auf das „level playing field“ bestanden, das auf weltweiter Ebene umgesetzt werden sollte.

Am Vorabend hatte Xavier Bettel am Gipfel der Eurozone teilgenommen, der am Tag nach dem griechischen Referendum vom 5. Juli einberufen worden war. Der luxemburgischen Premierminister wollte kurz dieses Treffen ansprechen, bevor die Europaabgeordneten am gleichen Morgen den griechischen Premierminister, Alexis Tsipras, empfingen. Wir haben die Entscheidung des griechischen Volkes „zur Kenntnis genommen“ und „wir müssen sie respektieren“, erklärte Xavier Bettel bezüglich des Referendums. Dennoch wollte er „die Enttäuschung der Mehrheit der führenden Politiker“, die sich am Vorabend getroffen hatten, darüber mitteilen, dass sie von Seiten Griechenlands „keine konkreten Vorschläge erhalten haben“. „Wir haben die Hände ausgestreckt und es ist jemand mit Händen in den Taschen gekommen“, fasste er anschließend vor der Presse zusammen, um diese Enttäuschung zu erklären. Solche Vorschläge werden jedoch für den 9. Juli erwartet, erklärte Xavier Bettel und erinnerte daran, dass sie von allen angenommen werden müssen. Der Premierminister betonte, dass „der luxemburgische Ratsvorsitz keinen Grexit befürwortet“ und brachte seine Hoffnung darüber zum Ausdruck, dass eine Lösung im Interesse aller gefunden werden kann. Er wies vor der Presse allerdings auch darauf hin, dass er zwar alles unternehmen will, um einen Grexit zu vermeiden, dabei jedoch alle ihrer Verantwortung nachkommen müssen.

Am Ende seiner Rede kam Xavier Bettel auf das Referendum zu den Beziehungen mit der Europäischen Union zu sprechen, welches das Vereinigte Königreich vorbereitet. „Wir werden den Vorschlägen der britischen Regierung aufmerksam zuhören und ich bin überzeugt, dass wir uns auf Lösungen verständigen können“, versicherte er vor einem mehr als unruhigem Plenarsaal. „Aber der gemeinschaftliche Besitzstand darf nicht gefährdet werden“, warnte er und erklärte dann, dass er nicht daran zweifle, dass das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleiben werde. „Der luxemburgische Ratsvorsitz ist seinerseits bereit, zu diesem Ziel beizutragen“, schloss Xavier Bettel zuversichtlich unter dem Beifall eines großen Teils des Plenarsaals.

Die Debatte im Europäischen Parlament

Xavier Bettel et Martin SchulzFür den luxemburgischen Europaabgeordneten Frank Engel, der im Namen der EVP-Fraktion sprach, nimmt Luxemburg den Ratsvorsitz „in angespannten Zeiten“ wahr, „in denen es große Herausforderungen gibt“. Seiner Ansicht nach seien mehrere Themen wichtig, insbesondere die Reform der Datenschutzgesetzgebung, das PNR-Abkommen, die Klimakonferenz in Paris und das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten (TTIP), das „die Bürger beunruhigt und beschäftigt“. Ihm zufolge gehe es außerdem darum, Fortschritte im Bereich der Steuergerechtigkeit zu erzielen und dafür Sorge zu tragen, dass der „Europäische Fonds für strategische Investitionen“ (EFSI) erfolgreich sei, da „es diesem Kontinent in eklatanter Weise an strategischen Investitionen mangelt“. All diese Themen nehmen im Programm des Ratsvorsitzes eine Vorrangstellung ein. „Bei Griechenland et cetera“, erinnerte Frank Engel daran, dass Luxemburg „eine große Tradition in Sachen Mäßigung und Annäherung von Standpunkten“ habe. Er bedauerte, dass der europäische Kontinent von zahlreichen, intensiven Zentrifugalbewegungen geprägt sei, und hoffte, dass es dem luxemburgischen Ratsvorsitz erneut gelinge, „eine Zentripetalkraft“ zu schaffen.

Der Europaabgeordnete Gianni Pittella, Vorsitzender der S&D, äußerte, die Aufgabe des luxemburgischen Ratsvorsitzes sei „riesengroß“. Seiner Ansicht nach müsse es zu einer Einigung mit Griechenland kommen, um „katastrophale Konsequenzen für die EU zu vermeiden“. Er betonte weiterhin den Wunsch der S&D-Fraktion nach einem „verbindlichen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten“ bei der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Im Rahmen des Solidaritätsprinzips müsse die EU ebenso das Sozialdumping bekämpfen, einen Investitions- und Beschäftigungsplan umsetzen und ihre Solidarität gegenüber dem Rest der Welt unter Beweis stellen. Gianni Pittella forderte zudem auf, die Sozialwirtschaft zu unterstützen und einen Übergang zu einer grünen Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Anschließend äußerte er, seine Fraktion sei überzeugt, dass der luxemburgische Ratsvorsitz in der Lage sei, sich den bedeutenden Herausforderungen zu stellen, die ihn erwarten.

Dem Europaabgeordneten Mark Demesmaeker zufolge, der im Namen der EKR-Fraktion sprach, ist das Programm des luxemburgischen Ratsvorsitzes „ehrgeizig“; es werde aber vor zahlreiche Herausforderungen gestellt werden, wie die Griechenland-Krise oder die Migration. „All Ihr Verhandlungsgeschick wird erforderlich sein, um zu Einigungen zu gelangen“, äußerte er. Für die EKR sei eine Einigung über das PNR-Abkommen „von wesentlicher Bedeutung“, um über einen gemeinschaftlichen EU-Rahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu verfügen. „In Europa gibt es keinen Platz für die Art von Aggression, die wir in der Ukraine erleben“, fügte er noch hinzu. Abschließend betonte Mark Demesmaeker die Bedeutung der Initiative „Bessere Rechtsetzung“, der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und des digitalen Binnenmarkts. Er wies zudem darauf hin, dass es wichtig sei, bei der Klimakonferenz in Paris zu einem internationalen Abkommen zu gelangen.

Der luxemburgische Europaabgeordnete Charles Goerens, der die ALDE-Fraktion vertritt, zeigte sich zufrieden, dass die Prioritäten seiner Fraktion auch zu denjenigen des luxemburgischen Ratsvorsitzes zählen, insbesondere die Förderung des Wachstums, die Umsetzung des digitalen Binnenmarkts sowie die Verpflichtung zum Erfolg in Bezug auf den Kampf gegen den Klimawandel und die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba.  Seiner Meinung nach erfolge der luxemburgische Ratsvorsitz unter „anderen“ Rahmenbedingungen, denn „die Zahl derer, die das Projekt Europa verteidigen, hat abgenommen“. „Wir benötigen […] den unerschütterlichen Willen, das Wesentliche zu bewahren – dieses Band zwischen den Nationen, zwischen den Bürgern, die in unseren Nationen leben und den Mut und die Entschlossenheit haben, unsere Freiheiten zu verteidigen“, fügte er hinzu. Er betonte die Notwendigkeit der Aufnahme von Flüchtlingen und führte an, dass „dieses europäische Projekt auf der Unbezwingbarkeit der Menschenwürde basiert“ und nicht „auf malthusianischen Ansätzen“.

Der luxemburgische Ratsvorsitz müsse „alle Arten von Problemen bewältigen, mit denen die europäischen Völker derzeit konfrontiert werden“, erläuterte der Europaabgeordnete Neoclis Sylikiotis (GUE/NGL).  Er vertrat die Auffassung, Europa bedürfe der Solidarität, einer progressiven Politik des Wachstums, der Beschäftigung und der sozialen Gerechtigkeit und nicht „neoliberaler Politiken mit strengen Sparmaßnahmen, die in die Krise führen und ganze Völker verarmen lassen“. Bezüglich der Migration betonte Neoclis Sylikiotis die Bedeutung einer fairen Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten, abhängig von ihrem BIP und der Größe der Bevölkerung.

Für den luxemburgischen Europaabgeordneten Claude Turmes, der die Fraktion der Grünen/EFA vertritt, nimmt Luxemburg den Ratsvorsitz zu einem für Europa bedeutenden Zeitpunkt wahr. Luxemburg müsse ihm zufolge eine Vermittlerrolle einnehmen, damit es gelänge, Brücken zu bauen. Seiner Meinung nach gäbe es in den kommenden sechs Monaten vier grundlegende Prioritäten: das Klima, die Flüchtlinge, eine faire Steuerpolitik und die Griechenland-Frage. Im Hinblick auf das Klima betonte Claude Turmes die Notwendigkeit, bei der Klimakonferenz in Paris zu einem Abkommen zu finden. „Entweder respektieren wir die Grenzen oder die Natur wird außer Kontrolle geraten, wie es in jüngster Zeit die Hitzeperioden in Indien, Pakistan und Europa gezeigt haben“, erläuterte er.

  • Letzte Änderung dieser Seite am 08-07-2015