Nicolas Schmit, der für die Zeit des luxemburgischen EU-Ratsvorsitzes als Minister mit den Beziehungen zum Europäischen Parlament betraut ist, sprach am 25. November 2015 in der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg. Er nahm im Namen des Rates an einer Debatte zu den Terror-Anschlägen in Paris vom 13. November 2015 teil, bei der auch der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker zugegen war.
Konkret konzentrierte sich die Debatte auf die aktuellen und die geplanten Anti-Terror-Maßnahmen. Dabei stützte man sich auf die Schlussfolgerungen der außerordentlichen Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ vom 20. November 2015.
„Wir benötigen eine möglichst umfassende und intensive europäische Zusammenarbeit“
Vor den Europaabgeordneten erinnerte Nicolas Schmit an seine Unterstützung für die Opfer des Terrorismus und plädierte für eine möglichst umfassende und intensive europäische Zusammenarbeit, „die all diejenigen einbinden soll, die bereit sind, sich mit uns im unerbittlichen Kampf gegen jene zu engagieren, die Angst und Schrecken verbreiten, indem sie blind töten“.
Anschließend erinnerte er an die „ambitionierten Maßnahmen“, die der Rat „Justiz und Inneres“ am 20. November beschlossen hat, und hob hervor, dass der Rat den Schwerpunkt seines Engagements im Kampf gegen den Terrorismus auf die operativen Maßnahmen lege.
Im Zusammenhang mit der Registrierung der Fluggastdatensätze (kurz PNR für Passenger Name Record) beabsichtige der Rat eine schnelle Einführung dieses Instruments auf europäischer Ebene. „Der Ratsvorsitz hofft, bereits beim kommenden Trilog eine Einigung mit dem Parlament zu erzielen“, erklärte der Minister. „Und wir sind uns vollauf bewusst, welche Bedeutung der Abschluss der Verhandlungen über das Paket zum Datenschutz für Sie hat“, fügte er hinzu, um im Anschluss deutlich zu machen, dass sich der Ratsvorsitz für einen Abschluss der Verhandlungen noch vor Jahresende einsetze.
Zur Erinnerung: PNR ist ein Vorhaben zur Erfassung der Identität aller Flugpassagiere, die in die EU einreisen oder sie verlassen. Im April 2012 wurde vom Rat „Justiz und Inneres“ eine allgemeine Ausrichtung zum Richtlinienentwurf aus dem Jahr 2011 festgelegt, der jedoch aus Datenschutzgründen vom Europäischen Parlament blockiert wurde. Während der Rat regelmäßig betonte, dass diese Richtlinie aufgrund der wachsenden Bedrohung durch ausländische Kämpfer dringend zum Abschluss gebracht werden müsse, verabschiedete der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) des Parlaments am 15. Juli 2015 schließlich einen überarbeiteten Bericht zur Richtlinie sowie ein Mandat zur Verhandlung mit dem Rat und knüpfte seine Zustimmung an parallel dazu zu erzielende Fortschritte bei der Reform des Datenschutzes.
Bezüglich des Handels mit Schusswaffen verwies der Minister darauf, dass der Rat beabsichtige, innerhalb der EU effizienter gegen den illegalen Waffenhandel vorzugehen und sich dabei auf die überarbeiteten Texte und auf die operativen Maßnahmen im Rahmen des „EU-Politikzyklus zur Bekämpfung der organisierten und schweren internationalen Kriminalität“ stützen werde. „In dieser Woche wird der Ratsvorsitz die Diskussionen über den von der Kommission kürzlich vorgelegten Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über Schusswaffen aufnehmen“, sagte er.
Im Hinblick auf die Verstärkung der Kontrollen an den Außengrenzen äußerte Nicolas Schmit, dass sich die Mitgliedstaaten dafür einsetzen, unmittelbar systematische und koordinierte Kontrollen umzusetzen, die an den Außengrenzen notwendig seien, einschließlich bei Personen, die Freizügigkeit genießen. Der Minister wies darauf hin, dass eine Modernisierung der Kontrollsysteme an den Grenzen der Mitgliedstaaten des Schengen-Raums bis März 2016 umgesetzt werde. Die Mitgliedstaaten werden eine „systematische Registrierung“ von Drittstaatsangehörigen vornehmen, die in den Schengen-Raum einreisen, einschließlich der Abnahme digitaler Fingerabdrücke, und systematische Sicherheitskontrollen durchführen und dazu zweckmäßige Datenbanken verwenden.
Zu den am stärksten belasteten Außengrenzen merkte Nicolas Schmit an, dass die Mitgliedstaaten die Kontrollen verstärken werden, „insbesondere − wenn die Situation es erfordert − durch den Einsatz von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke und von Polizisten, damit das Filtern und die Sicherheitskontrollen systematisch durchgeführt werden“.
In Bezug auf den Informationsaustausch verpflichtete sich der Rat zur Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen, die darauf abzielen, die eingeführten Instrumente „maximal auszuschöpfen“ und eine „möglichst effiziente“ Zusammenarbeit zu ermöglichen. „So werden die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die nationalen Behörden systematisch Daten zu allen mutmaßlichen ausländischen terroristischen Kämpfern in die Datenbank SIS II eingeben“, erklärte der Minister.
Nicolas Schmit verwies auch auf die neue Europol-Verordnung, „zu der wir uns eine unverzügliche Einigung erhoffen“. Sie müsste ihm zufolge mit dem Mandat und den Zielen des in Europol integrierten Europäischen Zentrums für Terrorismusbekämpfung im Einklang stehen, das am 1. Januar 2016 eingerichtet werde. Der Minister wies darauf hin, dass die Mitgliedstaaten Experten für den Kampf gegen den Terrorismus dorthin entsenden werden. Er forderte die Kommission auf, einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, der darauf abzielt, Europol einen systematischen Abgleich zwischen ihren Datenbanken und SIS II zu gestatten.
Zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung erklärte Nicolas Schmit, dass der Rat die Kommission aufgefordert habe, Vorschläge zur Stärkung, Harmonisierung und Erweiterung der Kompetenzen der zentralen Meldestellen zur Bekämpfung der Geldwäsche (FIU) sowie ihrer Kooperation untereinander vorzulegen und dafür zu sorgen, dass diese Stellen schnell Zugang zu den erforderlichen Informationen erlangen. Das Ziel sei, „Wirksamkeit und Effizienz des Kampfes gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu erhöhen“. Der Rat empfahl außerdem eine Verstärkung der Kontrolle von bankenfreien Zahlungswegen.
Außerdem begrüßte der Minister die Absicht der Kommission, noch vor Ende dieses Jahres einen Richtlinienvorschlag vorzulegen, mit dem der Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung aktualisiert wird. Der Rat empfahl außerdem Verbesserungen des Strafregisterinformationssystems ECRIS und der präventiven Maßnahmen.
„Alle diese Maßnahmen erfordern eine strikte Nachverfolgung. Der Rat wird dies überwachen“, sagte Nicolas Schmit abschließend.
„Wir müssen den Geist von Schengen retten“
„Nie zuvor brauchten wir so sehr ein starkes und entschlossenes Europa, das schnell, koordiniert und solidarisch handeln kann“, erklärte Jean-Claude Juncker vor den Europaabgeordneten und beharrte auf der Notwendigkeit, eine „gefährliche Vermengung“ von Flüchtlingen und Terroristen zu vermeiden.
„Wir müssen den Geist von Schengen retten. [...] Sollte der Geist von Schengen unsere Länder und Herzen verlassen, verlieren wir mehr als nur Schengen. Die gemeinsame Währung hat keinen Sinn, sollte Schengen fallen“, sagte er weiter.
Jean-Claude Juncker sprach die Antworten der Europäischen Kommission an und zeigte sich von der Notwendigkeit überzeugt, ein europäisches Register für Fluggastdatensätze zu erstellen, „auch für innereuropäische Flüge“. Er fügte hinzu: „Die Kommission wird im Dezember einen Entwurf zum Grenzschutz und zum Küstenschutz vorschlagen.“
„Wir neigen dazu, uns auf die Kooperation mit der Türkei zu konzentrieren, aber wir dürfen die anderen nicht vergessen“, rief Jean-Claude Juncker in Erinnerung und sprach den Afrika-Treuhandfonds mit einem Finanzierungsvolumen von 1,8 Milliarden Euro an. Er plädierte außerdem für eine bessere Kooperation zwischen den europäischen Geheimdiensten.
Debatte der Europaabgeordneten
Im Laufe der sich anschließenden Debatte unterstrichen die größten Fraktionen, wie wichtig es sei, Einheit und Solidarität, aber auch Toleranz unter Beweis zu stellen und dabei die Vermengung von Terrorismus, Islam und Flüchtlingen zu vermeiden, da die Flüchtlinge die ersten Opfer des Terrorismus seien.
Die Frage nach einem europäischen PNR wurde unter den Abgeordneten erneut umfassend diskutiert. Der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion (EVP) Manfred Weber sagte: „Wir müssen besonnen und entschlossen zugleich handeln.“ Damit bezog er sich unter anderem auf die Fortschritte bei Europol, auf die Datenschutz-Richtlinie und auf den Kampf gegen die Terrorismusfinanzierung. Er sagte weiter, man müsse jedoch vor allem Fortschritte bei der Datenspeicherung und beim System zur Erfassung von Fluggastdaten machen.
Gianni Pittella, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion (S&D), äußerte den Willen seiner Fraktion, das PNR „so schnell wie möglich“ zu verabschieden, ohne jedoch „die individuellen Freiheiten und den Datenschutz der Personen zu gefährden“. Er plädierte auch für eine stärkere Kooperation zwischen den europäischen Nachrichtendiensten, in die wirtschaftlich und politisch investiert werden müsse.
Der Vorsitzende der konservativen Fraktion (EKR) Syed Kamall rief ebenfalls zu einem besseren Informationsaustausch zwischen den europäischen Diensten auf und fügte hinzu, dass die Einrichtung eines europäischen Nachrichtendienstes nicht notwendig sei. „Wir müssen zusammenkommen, um die Lehren aus diesen Ereignissen zu ziehen, um eine Antwort darauf zu erarbeiten, die jedoch maßvoll und verhältnismäßig sein muss“, sagte er.
Der Vorsitzende der liberalen Fraktion (ALDE) Guy Verhofstadt wies die Anschuldigungen zurück, laut denen das Europäische Parlament für das Fehlen eines europäischen PNR-Systems verantwortlich sei, und wertete diese als „unwürdig“. Während ein Richtlinienentwurf auf dem Tisch liege, „der mindestens zwei Jahre benötigt, bis er angewandt werden kann“ und mit dem „28 PNR in der EU eingerichtet“ werden, habe das Parlament eine Verordnung vorgeschlagen, die direkt anwendbar gewesen wäre und ein einziges System errichtet hätte.
Ein solches System hätte laut Aussage des Fraktionsvorsitzenden der Liberalen eine Vermeidung des „systematischen Versagens“ ermöglicht, das in den letzten Jahren bei den Attentaten in Madrid, London und Paris festgestellt wurde, bei denen der Nachrichtendienst eines Mitgliedstaates die Attentäter kannte, die Informationen jedoch nicht an die Dienste der anderen Länder weitergeleitet habe. Guy Verhofstadt rief dazu auf, einen europäischen Nachrichtendienst einzurichten.
Seine Worte fanden bei dem Ko-Vorsitzenden der grünen Fraktion (Grüne/EFA) Philippe Lamberts Unterstützung, welcher der Auffassung war, dass es „in Sicherheitsfragen nur eine gemeinsame Souveränität“ gebe. Nach Ansicht des Europaabgeordneten gebiete die politische Verantwortung, Maßnahmen zu ergreifen, die auf Tatsachen beruhen. Die erste Tatsache sei dabei, dass die Terroristen zwar bekannt waren, nur nicht allen. Daher sei die Reaktion, eine allgemeine Überwachung einzuführen, nicht angemessen, da es an der Aufklärung „nicht mangelt“, sondern das Problem in erster Linie im Austausch liege, aber auch in der Nutzung der Informationen und daher auch in den für diesen Zweck aufgewendeten Mitteln.
Die Frage nach den Auswirkungen der militärischen Interventionen auf Radikalisierung und Terrorismus wurde ebenfalls von mehreren Rednern aufgeworfen, darunter von Philippe Lamberts und von der Vorsitzenden der Fraktion der radikalen Linken (GUE/NGL) Gabriele Zimmer. Diese war insbesondere der Ansicht, dass „militärische Interventionen den Terrorismus nicht schwächen können“, sondern ihrer Ansicht nach im Gegenteil der Rekrutierung von Anhängern Vorschub leisten.
Außerdem stellten sich beide Europaabgeordneten Fragen zu der Tatsache, dass diese Terrorristen „bei uns aufgewachsen seien“. „Warum sind unsere Gesellschaften zu fruchtbarem Boden für Hassprediger geworden“, fragte Philippe Lamberts und verwies auf eine Gesellschaft, „in der ein Konkurrenzkampf aller gegen alle die Regel ist“. Gabriele Zimmer beharrte auf der Notwendigkeit, vor diesem Hintergrund eine Antwort auf die Situation in zahlreichen europäischen Ballungsräumen zu geben. Sie forderte, man müsse eine Integrationsoffensive starten, um den Jugendlichen eine Perspektive zu bieten.
Der Schengen-Raum mit seiner Freizügigkeit wurde von den Fraktionen der Euro-Skeptiker wie EFDD und ENF in Frage gestellt. Sie machten die Freizügigkeit für die Anschläge verantwortlich.