Die Mitglieder des Präsidiums des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) trafen sich am 2. September 2015 in Luxemburg bei der 162. Präsidiumssitzung, die hauptsächlich dem Thema grenzüberschreitende Zusammenarbeit gewidmet war. Bei dieser Gelegenheit wurde der Staatssekretär für nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur, Camille Gira, dazu aufgefordert, die Vorschläge der luxemburgischen Ratspräsidentschaft vorzustellen. Dieser hatte beim AdR um eine Stellungnahme zur Notwendigkeit eines besseren rechtlichen Rahmens für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ersucht. Das Thema wurde anschließend bei zwei Diskussionsrunden diskutiert; die erste beschäftigte sich mit der grenzüberschreitenden Dimension der Politik und der Vorschriften der EU, die zweite war den Investitionen und der Finanzierung grenzüberschreitender Projekte gewidmet.
Zur Eröffnung der Debatten erinnerte der Präsident des AdR Markku Markkula daran, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Laufe der letzten Jahrzehnte eine neue Dimension angenommen habe, aber dass es weiterhin zahlreiche Herausforderungen gebe. Während aus einer einfachen Zusammenarbeit eine funktionierendere und schlüssigere Integration der Territorien entsteht, wird die Bedeutung der Städte und Territorien zunehmen, „was konkrete Folgen haben wird“. In diesem Zusammenhang „wird es vor allem notwendig sein, diese Regionen, die grenzüberschreitenden Interaktionen und ihr Potenzial besser zu verstehen“, sagte der Vorsitzende, der bemerkte, dass man auch „gemeinsame Visionen teilen, d. h. über nationale Perspektiven hinausgehen und die nötigen finanziellen Ressourcen sicherstellen muss“.
Die Großregion: Ein „Beispiel für institutionalisierte grenzüberschreitende Zusammenarbeit“
Der Staatssekretär für nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen, Camille Gira, betonte die Bedeutung des langjährigen Engagements Luxemburgs für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Er geht davon aus, dass für ein „kleines Land“ wie Luxemburg die grenzüberschreitende Zusammenarbeit „präsenter“ sei als für ein großes Land. „Alle Entscheidungen, die in unseren Nachbarländern getroffen werden, haben direkte Auswirkungen auf viele Themen in unserem Land, aber das ist auch umgekehrt der Fall“, unterstrich der Staatssekretär.
„Seit 1971 praktizieren wir mit Frankreich und Deutschland die institutionalisierte Zusammenarbeit“, erklärte er weiter, „die Zusammenarbeit hat sich anschließend auf andere Gebiete, andere Verwaltungsebenen und auf Belgien ausgeweitet, um zur „Großregion“ zu werden. „Die Regierungschefs der Länder und Regionen der Großregion treffen sich regelmäßig, wir haben einen Interregionalen Parlamentarierrat, und wir haben, wie die EU, einen Wirtschafts- und Sozialausschuss“, gab er an. Laut Camille Gira ist eine der besonderen Eigenschaften der Großregion „die Wechselbeziehung ihrer Grenzräume“ und die hohe Anzahl der Grenzgänger. „Allein in Luxemburg beträgt ihre Anzahl 170 000 Personen, was 40 % des luxemburgischen Arbeitsmarktes darstellt“, stellte er fest. Was die Großregion insgesamt betrifft, so „belaufen sich die Bewegungen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmer auf 220 000 Personen, was über ein Viertel aller Grenzgänger der EU ausmacht“.
In diesem Zusammenhang ist es ihm zufolge nicht erstaunlich, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit „einen nicht unerheblichen Platz“ im Programm und den Aktivitäten der luxemburgischen EU-Ratspräsidentschaft einnimmt. Auch wenn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an sich nicht zur Kompetenz der EU gehört, so findet er doch, dass die EU „eine wichtige Rolle bei der Annäherung der Bürger in den Grenzräumen“ zu spielen hat, ebenso wie bei der „Dynamisierung der Grenzräume, die traditionell unter ihrer Randlage gelitten haben“. Dies äußert sich z. B. in der Schaffung von „Strukturen wie dem EVTZ “ (Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit), aber auch in der „Zusammenarbeit bei der Umsetzung europäischer Vorschriften, deren Auswirkungen nicht an den Grenzen Halt machen“, z. B. im Bereich der Umwelt und der Natura 2000-Gebiete.
Vorschlag der luxemburgischen Ratspräsidentschaft: Neben der Struktur des EVTZ Instrumente zur Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entwickeln
In ihrem Vorschlag beabsichtigt die luxemburgische Ratspräsidentschaft daher, über ein neues „pragmatisches“ Instrument nachzudenken, das durch die Verabschiedung besonderer gesetzlicher Bestimmungen für die Grenzräume „die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stärken“ soll, erinnerte Camille Gira. Mit der Bitte um Stellungnahme wurde dieser Vorschlag dem AdR unterbreitet, der bei der Plenartagung im Oktober einen Bericht zu dem Thema verabschieden wird.
Bei der Debatte meinte hingegen der erste Vizepräsident des AdR, Karl-Heinz Lambertz, dass der Wegfall der Grenzen zwar die Mobilität und den Abbau bestimmter Hindernisse in Europa ermöglicht habe, aber doch neue Probleme aufwerfe. „Je mehr Mobilität, desto größer die Erfahrung von Unvereinbarkeit der Gesetze, Mentalitäten und Sprachen, und wir finden uns vor einem Berg an Schwierigkeiten wieder". Ihm zufolge wird die Angleichung und Harmonisierung, von der viele denken, dass sie bereits zu weit gegangen sei, „nicht alles in Europa regeln, es muss auch Vielfalt geben, und es gibt Unterschiede, mit denen man lernen muss umzugehen". „Die große Kunst" der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besteht darin, „dennoch Lösungen zu finden", betonte er und verwies auf das Beispiel der Einführung des EVTZ 2004.
„Es geht nicht mehr nur darum, Probleme zu regeln, sondern sich integrierte Lösungen auszudenken". Ihm zufolge zielt der Vorschlag der luxemburgischen Regierung im Übrigen nicht darauf ab, die Gesetzgebungen auf europäischer Ebene noch weiter anzugleichen, sondern er bringe im Gegenteil „eine originelle Lösung" durch die Schaffung eines juristischen Rahmens, der die Beschlussfassung auf der Ebene der Nationalstaaten erleichtern würde. Diese „können so selbst die Bestimmungen schaffen, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ermöglichen".
Der Berichterstatter der Stellungnahme zur Verstärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, Nikola Dobroslavić, war hingegen der Meinung, dass es gelte, „vorsichtig" zu sein bezüglich der Entwicklung eines neuen Instruments, da die aktuellen Hilfsmittel „vollständig umgesetzt und ausgewertet werden müssen". Er erinnerte vor allem daran, dass die Verordnung bezüglich des EVTZ Gegenstand einer Überarbeitung war, die 2014 in Kraft trat. „Das Potenzial des EVTZ muss bestmöglich genutzt werden, aber wenn er nicht in der Lage ist, die festgelegten Ziele zu erreichen, wird man auf andere Instrumente zurückgreifen müssen".
Nach der Debatte antwortete Camille Gira, dass, „selbst wenn man das maximale Potenzial aus dem EVTZ nutzt, dies nicht dabei helfen wird, die Grenzen zu überwinden". Die luxemburgischen EVTZ-Mitglieder sind ihm zufolge alle Teil einer Zusammenarbeit, die er als „Software" bezeichnete, aber „sobald man den Aufbau einre noch so kleinen Infrastruktur erreichen will, stößt man auf mehrere Probleme", erklärte der Minister. Er nennt das Beispiel eines luxemburgischen Bürgermeisters, der mit seinem Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze eine Kläranlage bauen möchte. „Wenn Sie wissen, dass dieser Bau am Ende Gegenstand eines Vertrags zwischen Deutschland und Luxemburg sein muss, haben Sie keine Vorstellung und keine Lust mehr, sich an dieses Projekt zu wagen", bedauerte der Staatssekretär. In diesem Zusammenhang würde das von der luxemburgischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagene Instrument es der besagten luxemburgischen Gemeinde ermöglichen, eine Kläranlage nach luxemburgischen Normen zu bauen, während die Nachbargemeinde sich darauf beschränken könnte, „Berlin darum zu bitten, dass man bei dieser speziellen Kläranlage keine deutschen, sondern luxemburgische Normen anzuwenden braucht".
Für Camille Gira wahrt dieses Instrument das Subsidiaritätsprinzip und ermöglicht eine Erleichterung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. „Wenn man Europa den Bürgern näherbringen will, braucht man konkrete Ergebnisse", sagte er abschließend.